Eine Kerze lang
24. 02. 2013
Neun Jahre meines Lebens
gefügt
Leichtsinn und Risiko
Neun Jahre durfte ich dem deutschen Zweig von KIRCHE IN NOT als Geschäftsführer vorstehen. Ein Traum-Los für mich. Andererseits war es von den Verantwortlichen purer Leichtsinn und volles Risiko, mir diese Aufgabe zu übertragen. Sie werden die Gründe dafür noch lesen. Insgeheim erkannte ich im Laufe der Jahre jedoch eine Linie. Vor allem zum Ende meiner Tätigkeit, die ich mit Blick auf meine angeschlagene Gesundheit aufgeben musste, oder ehrlicher gesagt, die wohl Gott in seiner Weisheit beendete, eröffnete sich mir ein rundes Bild. Dahinter meine ich Gottes Handschrift zu erkennen. Davon und über so manches liebenswerte Detail möchte ich hier berichten. Um die Spuren Gottes deutlicher zu erkennen und meine Person besser verstehen zu können, beschränke ich mich nicht auf die angesprochenen neun Jahre sondern beginne mit meiner Kindheit. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern viel Freude beim Lesen, ein klein wenig mehr Gottvertrauen nach der Lektüre als zuvor und die beruhigende Erkenntnis, dass Gott durch Schwäche und Sünde hindurch wirkt. Darüber hinaus möchte ich mit diesem Zeugnis auch allen Eltern und Kindern Mut machen, die aus welchen Gründen auch immer, nicht zu einem „höheren“ Schulabschluss gekommen sind. Über all diesen Wünschen steht meine Sehnsucht, einen kleinen Beitrag zur „Schule der Liebe“, wie es der Gründer von KIRCHE IN NOT, Pater Werenfried van Straaten, der legendäre Speckpater, genannt hat, zu geben. Eine Schule der Liebe, die Gott und den Nächsten sieht und sich selbst in der Liebe geborgen weiß. Eine Liebe, die hier auf Erden die von Gott geweinten Tränen (frei nach Pater Werenfried) sieht und auch trocknet. Eine Liebe, die von Glaube und Hoffnung umgeben ist.
Die erste Weiche
Schuld an der folgenden Geschichte ist bei genauer Betrachtung ein Elektromeister. Im zarten Alter von 14 Jahren bewarb ich mich bei unserem örtlichen Elektrogeschäft, mit dem Ziel, eine Ausbildung zum Elektriker zu beginnen. Diesen Beruf wollte bereits der Vater meiner Mutter erlernen. Es lag wohl etwas Strom in unserem Blut. So wie es meinem Opa nicht gelang, er wurde Landwirt, so ging es auch bei mir in eine andere Richtung. Der Sohn des Firmenchefs plante ausgerechnet im folgenden Jahr seine Meisterschule zu absolvieren, was sich bei dem kleinen Betrieb nicht mit der Ausbildung eines Lehrlings verbinden ließ.
Rückblickend stellte sich hier die erste Weiche, hin zu einem Dienst bei dem wunderbaren Hilfswerk KIRCHE IN NOT.
Jeder wird einmal geboren
Das Leben beginnt nicht mit 14 Jahren, sondern, eben 14 Jahre und genau genommen nochmals neun Monate früher. Nach der Hochzeit meiner Eltern im Jahr 1951 freuten sie sich im Jahr 1953 auf ihren ersten Sohn Manfred. Vier Jahre später auf ihre Tochter Maria. Danach war es mit dem Kindersegen scheinbar zu Ende. Wie meinte der Arzt zu meiner Mutter: „Was Gott nicht schenkt, das soll der Mensch auch nicht erzwingen.“ Mit dieser im ersten Moment undiplomatischen und doch nicht so falschen Antwort gaben sich meine Eltern zufrieden. Einerseits waren die finanziellen Mittel bereits sehr begrenzt, da mein Vater als selbstständiger Schneidermeister sich und seine Familie zwar gut und elegant einkleiden konnte, andererseits für den von meiner Mutter so geliebten Braten, eigene Tiere gehalten werden mussten. Doch dem Leitspruch meiner Eltern entsprechend: „Wir wollen auf Gott vertrauen und mutig in die Zukunft schauen.“ kommt es meist anders als man denkt. Elf Jahre später und in einem eher unpassenden Zeitpunkt, meine Mutter hatte neu eine Teilzeitstelle in einem Reinigungsgeschäft begonnen, wurde ich, mitten in das schlagzeilenträchtige Jahr 1968 hineingeboren. Meine Geburt wurde mit großer Freude angenommen. Mein Bruder, der auch als Kind den sportlichen Übungen nicht viel abgewinnen konnte, sprang vor Freude in einem Satz auf den nicht so niedrigen Schneidertisch, trank ein ganzes Glas eiskalte Milch und bekam Halsweh. Meine Schwester, durfte als Entschädigung, da ich nicht als Mädchen zur Welt kam, meinen Namen auswählen: Sie nannte mich Klaus, nach dem heiligen Bruder Klaus von der Flüe aus der Schweiz.
Die erste Kerze
Als ich den Titel dieses Büchleins „Eine Kerze lang“ auswählte, dachte ich nicht an meine erste Kerze, meine Taufkerze. Je mehr ich über den Titel nachdachte, erkannte ich jedoch, dass nicht nur die Kerze, die mich neun Jahre während meiner Tätigkeit bei KIRCHE IN NOT begleitete, gemeint ist, sondern dass allen Getauften ein Leben lang eine begleitende Kerze geschenkt ist. Im Idealfall wird sie an unserem Sterbebett das letzte Mal angezündet. Ja, der barmherzige Gott geht nicht nur einzelne Streckenabschnitte mit uns, sondern das gesamte Leben. Die Taufkerze wartet auf unser Entzünden in besonders schönen aber auch in den schwierigen und fragwürdigen Stunden unseres Lebens. Mit der Taufe wurde ich also in die große Familie der Weltkirche aufgenommen. Ich danke meinen Eltern für diese erste und mich ein Leben lang begleitende Kerze, für dieses Licht, das in Ewigkeit nicht erlöschen wird.
Eine liebende Familie
Dank unserer liebevollen und treu sorgenden Eltern, hatten wir eine schöne und ungetrübte Kindheit. Mein Vater wechselte vom Beruf des Schneiders in eine Fabrik, die große Kunststoffbehälter herstellte. Meine Mutter war Garant für ein immer Geborgenheit schenkendes familiäres Nest. Das tägliche Familiengebet und der regelmäßige Besuch der heiligen Messe gehörten zum Alltag. Ebenso die zahlreichen Gespräche über den Glauben, die auch einmal anstelle eines Rosenkranzgesätzchens ihren Platz fanden. Durch den großen Altersunterschied zu meinen Geschwistern erlebte ich meine Kindheit ähnlich dem eines Einzelkindes. Trotzdem durfte ich immer die Liebe meiner großen Schwester, die heiratete, als ich sieben Jahre alt war und die Liebe meines Bruders, dessen Primiz ich mit neun Jahren als Ministrant erleben durfte, erfahren. Die Liebe meines als Student mittellosen Bruders, ging so weit, dass er einen gebrauchten Mantel gegen einen gebrauchten Kassettenrecorder eintauschte, um mir ein Weihnachtsgeschenk zu bereiten. Es gab aber auch eine andere Seite meiner Kindheit. Einen Ausflug nach der vierten Schulklasse in die Welt des Gymnasiums beendete ich nach einem Jahr. Sicherlich waren die Noten etwas fragwürdig, der Hauptgrund war allerdings in meiner Person zu finden. Ich fand mich in der großen Gesamtschule nicht wirklich zurecht. Am Ende des ersten Schuljahres irrte ich, sobald ich meine Schulklasse verlor, durch das Schulhaus und konnte selbständig nicht alle meine Klassenzimmer finden. Unzählige viel kostbare Zeit verbrauchte ich für das Fach Englisch, um dennoch nicht über die Note vier hinaus zu kommen. Das Spiel mit meinen Kinderfreundinnen Dagmar und Barbara, deren Bauernhof ich zeitweise wohl fast mit meinem Daheim verwechselt hatte, war fast nicht mehr möglich. Die Mutter der beiden sagte mir später, dass sie mich ein Jahr lang nicht mehr hatte Lachen sehen. Eine traurige Zeit! In diesem Moment habe ich entschieden, nie mehr auf eine andere Schule, als in die Hauptschule in meinem Heimatort, zu gehen. Mein treuer Schulfreund Günter, mit dem ich schon in der Grundschule die Schulbank teilte, wurde wieder mein Banknachbar. Uns verband neben dem Wohnort auch das sportliche Untalent, eine Schrift, die die Lehrer zur Verzweiflung brachte, aber auch die Tatsache, meistens zu den Klassenbesten zu gehören. Es folgte also zumindest schulisch gesehen eine gemütliche Zeit, die viel Raum für das Spiel mit den Kindern in unserem kleinen Dorf lies.
Ich danke meinen Eltern für diese große Freiheit. Nie wurde ich gedrängt oder mit Empfehlungen, die ein schlechtes Gewissen machen, zu mehr Schule gedrängt. Sie hatten das feine Gespür und das Vertrauen, dass Gott schon seinen Weg mit jedem ihrer Kinder gehen wird. Auch hier war das Wort unseres alten Hausarztes durchaus passend: "Was Gott nicht schenkt, das soll der Mensch nicht zwingen."
Ich hatte also viel Zeit für das Spielen, ich hatte Zeit, über viele Jahre meinen Ministrantendienst zu pflegen und ich sparte mir wenigstens die Nervenbelastung, die eine höhere Schule für mich bedeutet hätte. Dafür jagte ich zusammen mit einer gleichaltrigen Freundin Sabine meinen Eltern so manchen Schrecken ein. Einmal bewarfen wir fahrende Autos mit einem Gemisch aus nassem Sand und kleinen Steinchen, was die getroffenen Autofahrer und meine Eltern nicht erfreute. Ein anderes Mal nahmen wir, während meine Mutter mit der Hand die Glocken zum mittäglichen Angelus in der örtlichen Kapelle läutete, Reißaus, schrien laut um Hilfe und versteckten uns anschließend. Meine Mutter, die die Glockenseile nicht einfach loslassen konnte, suchte uns im Anschluss mit großer Sorge und vermutete in uns schon die aktuellen Entführungsopfer. Lange Jahre fand ich in Thomas, der später auch mein Trauzeuge werden sollte, einen treuen Freund, mit dem ich zusammen so manche Hütte aus Holz in unserem Garten baute.
Die Glocken von Tronetshofen
Wenn ich auch meine Mutter während des Angelusgebetes einen großen Schrecken eingejagt hatte, so vertraute sie mir doch oft den Schlüssel für diesen Dienst an. Wir Kinder durften die örtlichen Glocken zum Angelusgebet läuten. Eine Beziehung zum Angelusgebet, die sich später in anderer Art und Weise neu entfalten wird. In meiner Kindheit stellte der Schlüssel zur Kapelle, besonders am Abend, ein kleines Machtinstrument dar. So manche Kinder des Ortes, wie auch ich, mussten spätestens beim Abendläuten nach Hause gehen. Für dieses Läuten gab es aber keine bestimmte Zeit, sondern nur den Hinweis der angehenden Dämmerung. So habe ich wohl manches Spiel ausgedehnt und so manche Dämmerung ein wenig nach hinten verlegt.
Eine innere Spaltung
Langsam und immer mehr, auch für meine Umwelt spürbar, machte sich in mir bereits im Kindesalter ein Gefühl der Angst und Traurigkeit breit. Es war eine Angst vor Sünden und vor Fehlern, die sich immer mehr verselbstständigte. In einem Auf und Ab gab es bessere und schlechtere Zeiten. Meine Eltern und auch meine Geschwister versuchten alles Mögliche. Ärzte wurden hinzugezogen – letztlich ohne wirklichen Erfolg und ohne Erklärung. Im Nachhinein kann man überlegen, ob ein Holzschutzmittel in meinem Schlafzimmer einen Anteil an dem Übel hatte oder ob es pubertäre Ursachen gab. Ohne näher darauf einzugehen, stelle ich mir bis heute die Frage, ob es nicht einen weiteren und tieferen Grund für meine schwierige psychische Situation, die in meinem Leben immer wieder zu Tage kam, gibt. Von klein auf galt ich und so wird es wohl oft noch heute gesehen als braver und durchaus frommer Mensch. Doch es gab bereits als Kind eine tiefe Spaltung in meinem Inneren. Trotzdem entwickelte sich ein persönliches Gebetsleben. Es gibt einen Schatten, der mich von jung an begleitete. Ein Schatten, der in meiner Gedankenwelt beheimatet ist. Mein Ja zu Jesus, meine Liebe zu Gott und den Mitmenschen und mein Nein zur Sünde hatten über weite Zeiten meines Lebens – meist unkenntlich für die Außenwelt – große Risse. Wenn ich Zeugnisse von Kindern lese, die sich sehnen, Jesus in der ersten heiligen Kommunion zu empfangen, so kann ich dazu nur gratulieren. Ich empfand diese Sehnsucht nur sehr begrenzt. Es bereitete mir keine Probleme an alles zu glauben. Mir war klar, dass Gott in der heiligen Eucharistie gegenwärtig ist. Ich hatte immer das Gefühl, alles Wichtige und Richtige über Gott und meinen Glauben zu erkennen und auch daran zu glauben.
Das Fatale an der Situation war: Mir fehlte die Liebe zu Gott. Ich beantwortete die Liebe Gottes nicht. Ich wollte oder konnte die Sünden nicht lassen. War es meine Angst oder war es die Spaltung meines Herzens. Ich möchte es offen lassen. Es sollte ein langer Weg folgen.
Gott wird darüber urteilen und ich bitte um seine Barmherzigkeit.
Die Fortsetzung der ersten Weichenstellung
Die Sache mit dem Elektriker hatte sich wie eingangs berichtet erledigt. Gleichzeitig öffnete sich ein unerwartetes Türchen. Aufgrund eines Gespräches mit dem örtlichen Geschäftsstellenleiter kam in mir dank kindlicher Naivität der Gedanke auf, dass die Kreissparkasse an mir als Auszubildenden – trotz meiner mangelnden Schulbildung – interessiert sein könnte. Sofort informierte ich mich bei der Berufsberatung, die mir bestätigte, dass es theoretisch möglich sei, um mir sogleich klar zu machen, dass in der Regel die Hälfte der Auszubildenden ein Abitur und die andere Hälfte die Mittlere Reife als Eingangsvoraussetzung haben. Zudem seien bis zu 200 Bewerbungen auf 25 Stellen die Realität. Doch was kümmerte mich die Realität. Mit der Aussage, dass es zumindest kein Gesetz über notwendige Vorbildungen gäbe, kaufte ich mir neue Klamotten und besuchte ohne Scheu und Angst die Personalabteilung der Kreissparkasse im nahen, für mich damals jedoch fernen, Augsburg. Meine Mutter verdonnerte ich, außerhalb der Sichtweite der Sparkasse, mich zu verlassen. Sie versprach mir dafür das Gebet in einer nahen Kirche. Von so viel naiver Natürlichkeit angetan und vermutlich auch aufgrund des guten Gespräches durfte ich mich wenigstens einmal bewerben. Ich musste an dem üblichen Einstellungstest teilnehmen und alles ging seinen Lauf. Ich bekam zum Erstaunen vieler meine Zusage für die Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Kreissparkasse Augsburg. Ich war glücklich. Was war dazu im Hintergrund aber geschehen? Wie spielte der Zufall oder wie man es auch immer nennen soll? Gerade in diesem Jahr gab es in unserem Landkreis einen Arbeitskreis mit dem Ziel, Abgängern von Hauptschulen eine Chance zu geben. Auch einer meiner Lehrer war glücklicher Weise in diesem Kreis, ebenso ein Vertreter der Kreissparkasse. Die Kreissparkasse erklärte sich bereit, bei entsprechender Eignung, einen Versuch mit einem Hauptschüler zu wagen. Der Lehrer unserer Schule empfahl mich. Auch kam mir wohl zu Hilfe, dass mein Bruder vor vielen Jahren, ebenso bei dieser Sparkasse eine Ausbildung absolvierte und diese als Lehrjahresbester abschloss. Mein Weg innerhalb der Sparkasse begann. Ich schloss meine Ausbildung mit guten Noten ab und niemand interessierte sich mehr um meine etwas magere Vorbildung. Im Schnitt konnte ich alle zwei Jahre meine Position in eine positivere Richtung verändern, absolvierte einen Lehrgang an der Sparkassenakademie und lernte wirtschaftliche und kaufmännische Zusammenhänge kennen. Ich durfte junge Menschen, Familien und Firmen finanziell beratend begleiten. Ich lernte Leitungsaufgaben zu übernehmen. Das Lesen und Verstehen von Bilanzen gehörte ebenso zu meinen Aufgaben, wie die Abwicklung von Nachlässen. Und über allem stand der stete Kontakt zu Menschen jeden Alters, zu Armen und Reichen, zu den Gutmütigen und auch zu den Schwierigen. Es waren spannende 14 Jahre meines Lebens.
Nach einigen Jahren sprach ich mit dem Vorstandsmitglied meiner Sparkasse, der meine Bankausbildung möglich machte. Ich bedankte mich für die wunderbare Chance und für das Vertrauen. Seine sinngemäße Antwort war, dass er meinen klaren Willen für die Kreissparkasse zu arbeiten, meine Bereitschaft zur Anstrengung und auch meine Persönlichkeit schätzte. Er ging so weit, dass er sich bereit erklärte, als Mitglied des kleinen Trägervereins von KIRCHE IN NOT über viele Jahre mitzuarbeiten.
Ich möchte allen Mut machen, die nicht mit hoher Schulbildung, aus welchen Gründen auch immer, aufwarten können: Mit einer offenen und willigen Persönlichkeit kann man so manchen Personalchef überzeugen. Drei Buchstaben wurden mir wichtig: TUN. Es tut mir weh, wenn ich im schulischen Umfeld meiner Kinder erlebe, dass bereits Kinder im vierten Schuljahr unter Druck und Stress stehen, wenn Eltern die Zukunft ihrer Kinder bestimmen und damit womöglich ihre Persönlichkeit beschädigen. Es gibt heute in jeder Altersstufe Mittel und Wege Abschlüsse nachzuholen. Ich wünsche in dieser Richtung allen mehr Gelassenheit.
Eine Sache, die mir wichtig erschien, möchte ich nicht unerwähnt lassen. Meine Eltern waren schon zu dieser Zeit vom Wirken des Speckpaters begeistert. Aufgrund des geringen Einkommens und eines Hausbaus konnten sie lediglich kleine Spenden geben. Sie gaben uns Kindern aber eine sonderbare Empfehlung mit auf den Weg: Das erste Lehrlingsgehalt ist am besten beim Speckpater angelegt. Auch ich nahm diese Empfehlung damals an. Ein Samenkorn war gelegt.
Ich liebe dich
Lange Zeit hatte ich immer das Gefühl und die Sorge, dass auf mich wohl kein Mädchen, das heißt kein Mädchen, das auch ich wollte, steht. Mein Kleiderschrank bestand aus so genannter Secondhand-Ware. Ich wurde von Bekannten und Verwandten mit etwas älteren Kindern bedient. Ich erinnere mich noch, wie mir meine Taufpatin die ersten moderneren Turnschuhe schenkte. Sie waren auch nicht von einer der angesagten Marken, aber wenigstens nicht nur blauweiß und in Leinen. Die meiste Schulzeit diente mir der echt lederne ehemalige Schulranzen meiner Schwester. Um ehrlich zu sein, ab der achten Klasse war er fast schon wieder modern. Darüber hinaus wurde ich dank meines Priesterbruders manchmal schlicht Pfarrer genannt. Meist war ich dann auch noch einer der Klassenbesten mit einer geschenkten drei in Sport. Bei Mannschaftsspielen wurde ich in der Regel, zusammen mit ein paar weiteren Ungelenken, zum Ende in eine Mannschaft ausgewählt. So nach dem Motto: Wenn wir die zwei nehmen, müsst ihr die andern zwei nehmen. Kurz gesagt, solche Typen sind weder bei den Jungs, noch bei den Mädchen sonderlich begehrt.
Alles hat seine Zeit. Meine erste Freundin lernte ich bei einer Wallfahrt nach Medjugorje kennen. Die Beziehung war von kurzer Dauer. Das Mädchen ging nach wenigen Monaten, in denen wir uns nur sehr selten sehen konnten, ins Kloster. Ich war in diesem Fall wohl die vom Teufel benützte und vom Himmel zugelassene letzte Prüfung ihrer wirklichen Berufung. Ja, auch dafür muss einer herhalten. Der Himmel hatte nun aber ein einsehen und innerhalb kurzer Zeit lernte ich das Mädchen meiner Träume kennen. Einen Fasching lang war ich voll verliebt! Doch auch diese Liebe nahm ein jähes Ende. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass eine weitere kurze Freundschaft durch meinen Entschluss ein Ende fand.
Erst jetzt wurde mein jahrelanges treues Gebet, um eine gute Partnerwahl, erhört: Ich durfte meine jetzige Frau, meine Judith, kennen lernen. Gott sei Dank! Dank sei Anni!
Zusammengeführt
Ich wiederhole es noch einmal: Anni sei Dank! Und das ging so: In den kommenden Tagen sollte in unserer Gegend ein Musical über die heilige Elisabeth von Thüringen gespielt werden. Da ich ja wieder Mal solo war und nicht alleine hingehen wollte, beschloss ich, eine gute Bekannte anzurufen. Noch während ich ihre Nummer suchte, klingelte in meiner kleinen Sparkassenfiliale das Telefon. Am anderen Ende war Anni! „Ach Klaus, willst du nicht mit mir zum Musical Elisabeth gehen?“ Ich war total überrascht. Ich spürte eine Fügung, ahnte aber nicht deren Inhalt. Dieses Musical war dann der Beginn meiner Freundschaft mit Judith. Judith war wiederum eine Freundin von Anni und ein „Teil“ des Musicals.
Die zweite Weichenstellung
Wir liebten uns, wir heirateten und wir bekamen unsere ersten beiden Töchter, Raphaela und Veronika geschenkt. Ich konnte in der Nähe meiner Heimat arbeiten. Es war eine gute Zeit. Ich muss noch ergänzen, dass meine Frau genau zu dem Zeitpunkt, als wir uns kennen lernten, ihren Beruf als Bankkauffrau aufgab, um aus tiefer Überzeugung eine Ausbildung zur Altenpflegerin zu beginnen. In diesem Zusammenhang schenkte mir Judith ein Bild mit der folgenschweren Inschrift: „Natürlich braucht die Welt Bankkaufleute, aber warum um alles in der Welt mich?“ Ich lächelte milde und behielt das Bild aus Sympathie. Doch irgendwie bekam meine gefühlt unlösbare Verbindung zu meiner Sparkasse kleine Risse. Als ich in der Zeitung eine Stellenausschreibung für einen Assistenten der Geschäftsführung für ein Hilfswerk innerhalb unserer Diözese las, musste ich es einfach wagen. Es bot sich die Möglichkeit, meine religiöse Überzeugung mit meinem Beruf zu verbinden. Ich betreute über Jahre Ministranten, leitete eine Firmgruppe, war im Pfarrgemeinderat aktiv und engagierte mich selbstverständlich als Lektor und Aushilfsmesner. Für viele unverständlich, selbst für meinen Personalchef, kündigte ich meiner lieben Sparkasse und trat meinen Dienst bei der aktion hoffnung an. Dieses Hilfswerk sammelte gebrauchte Kleidung, organisierte zahlreiche weltweite Hilfstransporte und finanzierte so manches Hilfsprojekt. Jetzt erkannte ich den zweiten Grund, warum mir Gott die liebe Judith geschickt hatte. War es nur um unserer Liebe willen, oder stand noch Zusätzliches dahinter. Ich weiß nicht, ob die besagte Stelle ohne meine Frau möglich gewesen wäre? Zum einen entdeckte ich die Stellenanzeige in der Zeitung wohl nur, da bei diesem Hilfswerk die Schwester meiner Frau arbeitete. Und zum anderen weiß ich nicht, ob diese Verschachtelung nicht auch ein wenig mitgeholfen hat, die Stelle zu bekommen. Ein weiterer, mir unbekannter Bezugspunkt war, dass ich mit der Frau eines Entscheidungsträgers, gemeinsam im Besuchsdienst des örtlichen Klinikums tätig war. Im Laufe der Zeit verstand ich immer mehr, dass das Leben ein Puzzlespiel ist. So vieles greift ineinander und oft erkennt man das Bild erst viel später. Nun hatte ich das Gefühl meinen beruflichen Hafen gefunden zu haben. Bei der aktion hoffnung durfte ich die fleißigen ehrenamtlichen Helfer und weitere Interessierte mit meinen Vorträgen beglücken. Auch zahlreiche ehrenamtliche Sortiererinnen mussten bei Laune gehalten werden. Darüber hinaus arbeitete ich an der Erstellung von Werbematerial und beteiligte mich an der Organisation von Veranstaltungen. Mit einem Wort gesagt, ich lernte die Tätigkeit in einem Hilfswerk aus den verschiedensten Perspektiven kennen und lieben.
Alte Liebe rostet nicht
Was auch immer mich drängte, ich weiß es nicht mehr. Ausgestattet mit einem alten gebrauchten Computer begann ich jedenfalls ein Gebetsheft mit dem Titel „Der Liebe Raum geben“ zusammenzustellen. Gemeinsam mit einem Bekannten wurden eintausend Stück davon „von Hand“ gemacht. Und immer, wenn ich welche verteilte, legte ich zwei Werbeflyer bei, einen von der aktion hoffnung und einen zweiten von KIRCHE IN NOT, dem Hilfswerk, das mir mein erstes Lehrlingsgehalt wert war.
Die Sache mit der KIRCHE IN NOT ließ mich nie ganz los. Gab es dort doch einen alten, aber faszinierenden Haudegen, den man Speckpater nannte. Ich musste ihn einfach kennen lernen. Mein Weg führte mich zu einem dreitägigen Treffen in das Exerzitienhaus Werdenfels in der Diözese Regensburg. Hier war der besagte Speckpater angekündigt. Mich interessierte vor allem diese Gründerpersönlichkeit, so besuchte ich nur den einen Tag, für den er angekündigt war.
Rückwirkend kann ich sagen, dass mich hier eine Hand berührt hat, die mich über Jahre nicht mehr los lassen sollte. An dem besagten Tag kam ich weniger mit dem Speckpater zu sprechen, als viel mehr mit der damaligen Geschäftsführerin des deutschen Zweiges. Als ich am Abend auf dem Weg nach Hause war, durchfuhr mich der Gedanke: „Es wäre ein Traum, für dieses Werk zu arbeiten.“ Allerdings gab es keinen ernsthaften Gedanken, sondern es war wirklich nur ein dahergelaufener, unlogischer und auch unbrauchbarer Querschläger. Ich hatte erst kurz bei der aktion hoffnung begonnen. Es machte Freude dort zu arbeiten. Die Arbeit war in meiner Nähe. Auch mein Chef war schwer in Ordnung. Lediglich die wirtschaftliche Lage war etwas angespannt.
Die Anfrage aus dem Nichts
Als ich wieder einmal am Telefon Werbeflyer bei KIRCHE IN NOT bestellte, kam ich mit der Geschäftsführerin in Kontakt. Sie erkannte mich, als den Tischnachbar auf besagtem Begegnungstag, und stellte mir sogleich die Frage, ob ich nicht ihr Nachfolger bei KIRCHE IN NOT werden möchte. Sie sah in meiner aktuellen Tätigkeit die richtige Vorbereitung für diese Stelle. Punkt! In mir begann ein Wind zu wehen. Es kam sofort die in mir eingepflanzte Sehnsucht hoch: „Es wäre ein Traum, für dieses Werk zu arbeiten.“ Nach vernunftbezogenem Überlegen und in Rücksprache mit meiner Familie kam ich zu dem klaren Entschluss, dass ein Wechsel schon aufgrund der weiten Entfernung von mehr als 90 Kilometern völlig ausgeschlossen sei. Zudem erwartete meine Frau unser drittes Kind. Diese Begründung war auch meine Antwort bei KIRCHE IN NOT. In meinem Unterton klang ich wohl nicht so klar. Drei Monate später und nach der Geburt unserer Tochter Mirjam, meldete sich KIRCHE IN NOT auf ein Neues. Diesmal legten wir alles in die Hand des heiligen Josef. Wir beteten dazu eine Novene. Ich kündigte bei aktion hoffnung und sagte bei KIRCHE IN NOT zu. Halt, hier gab es noch eine Hürde zu überwinden. Eine Einstellung bedurfte nicht nur der Auswahl der Geschäftsführerin, die ja in wenigen Monaten in den Ruhestand ging, es reichte auch nicht die Zusage des Vorstandsvorsitzenden und des geistlichen Assistenten, sondern es bedurfte auch noch der Genehmigung durch die Zentrale in Königstein. Hier wurde das größte Risiko gesehen. Der neue Kandidat konnte als Schulbildung nur den Hauptschulabschluss nachweisen und kein Studium der Theologie oder der Betriebswirtschaft. Die dringend benötigten sehr guten Englischkenntnisse, für ein Hilfswerk mit 17 nationalen Büros in aller Welt wirklich nötig, waren auch nicht vorhanden. Ganz zu schweigen von der einen oder anderen weiteren Fremdsprache. Warum auch immer, es gab wohl keinen zweiten Bewerber und ich wurde eingestellt. Mein Start war am 1. November 1999. Ich war 31 Jahre alt.
Und immer wieder eine Kerze
In meiner Familie haben Kerzen Tradition. Meine Mutter hatte bei wichtigen Terminen immer eine geweihte Kerze angezündet. Unter dem Schutz dieses geweihten Lichtes, das meist zu Füßen einer Muttergottes-Statue brannte, haben wir unsere Bewerbungsgespräche und wichtigen Prüfungen abgelegt. Auch bei schwerer Krankheit oder bei Operationsterminen brannte die Kerze und begleitete das fürbittende Gebet. Oft verrichteten wir unser Abendgebet im Schein der Kerze.
Sicherlich hat auch während meines Bewerbungsgespräches bei KIRCHE IN NOT eine geweihte Kerze ihren verzehrenden Dienst getan.
Die Probezeit
In den ersten Monaten bei KIRCHE IN NOT kamen unzählige Neuheiten auf mich zu. Dank- und Bittbriefe galt es zu entwerfen. Anfragen und Reklamationen mussten beantwortet werden. Seelsorgegespräche durften geführt werden. Werbematerialien mussten erstellt und an den künftigen Spender gebracht werden. Mitarbeiter sollten eine gute Führung erhalten und gleichzeitig auf treu katholischem Grund gelenkt werden. Die Bilanzerstellung lag künftig auch in meiner Verantwortung. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit waren zu koordinieren. Vorstands- und Mitgliederversammlungen bedurften einer sorgsamen Vorbereitung und Durchführung. Die Zusammenarbeit mit der Zentrale verlief nach eigenen Gesetzen. Der Einzug der neuen Technik war ein Gebot der Stunde. Und ein Teil des Vorstandes sah in der sofortigen Erstellung einer Internetseite das Heil des Werkes.
Kurz gesagt, mir wurde etwas schwindlig. Und das im wahrsten Sinn des Wortes und nicht nur ein Mal. Zusätzlich zerstörte ich am Morgen der ersten Vorstands- und Mitgliederversammlung mein privates Auto gänzlich. Mein erster wirklicher Unfall in 13 Jahren. Ich eilte noch etwas benommen mit dem Zug meinem Ziel, der Vorstands- und Mitgliederversammlung, entgegen. Während der Buchführung, die noch per Hand auf Listen erfolgte, verschwammen mir manchmal die Zahlen. Als ich nach mehreren Monaten auf dem Heimweg mit dem Zug nicht zuhause ankam, sondern mit letzter Kraft den Arzt besuchte, war das der Beginn einer schweren, und mehrere Wochen andauernden Grippe. In mir tobte aber nicht nur eine Grippe, sondern auch die Ungewissheit, ob ich diese Aufgabe annehmen kann. Ich betete inständig und versuchte mir die bohrenden Ängste vor der Zukunft auszureden. Ich sehe mich noch heute vor der Mariengrotte in unserem Garten und spüre die Unsicherheit in dieser Situation. Gleichzeitig erkannte eine Mitarbeiterin meinen Seelenzustand, der wohl auch die Züge einer Depression hatte. Sie versicherte mir ihr Verständnis und ihre Unterstützung.
Bilderwechsel: Meine Vorgängerin sah in mir ihren Nachfolger. Wir übten gemeinsam. Sie führte mich in die Licht- und in die Schattenseiten unseres Werkes ein. In großer Offenheit konnte ich mir ein Bild von der Zukunft machen. Tatsächlich fand ich mich in den meisten Aufgaben zurecht. Von Seiten der KIRCHE IN NOT war die Sache wohl entschieden.
Gott entscheidet in Rom
Für unser Hilfswerk folgte nun eine große Wallfahrt, im Rahmen des Heiligen Jahres 2000. Noch war meine Vorgängerin in Amt und Würden. Ich laborierte an den Nachwirkungen meiner schweren Grippe und entschied erst am Morgen des Abreisetages unter Tränen meine Teilnahme. Mit einem Sonderpilgerzug ging die Reise nach Rom. Gott ist gut. Meine Frau brachte mich an den Zubringerbahnhof. Im Zug Richtung München angekommen, geriet ich in eine froh gelaunte Sportlergruppe. Meine Sorgen wurden verdrängt. Von München aus ging es Richtung Rom. Aufgrund meiner Schwächung wanderte ich nur wenig durch den Zug und suchte meist die Nähe unseres nationalen geistlichen Assistenten.
In Rom nahm sich Gott wieder meiner Situation an. Ich hatte nicht die physische und psychische Kraft, am gesamten Programm teilzunehmen. Eine große Unsicherheit, bezüglich der Zukunft war in mir. In diesem Moment sandte der Himmel einen Schutzengel. Eine Frau, die den Sonderzug nicht erreichte, kam auf abenteuerlichen und sichtlich fremd geführten Wegen am späten Abend in unserem Hotel an. Sie war ursprünglich für eine andere Herberge geplant. Gott führte sie zu unserem Haus. Warum auch immer, sie erkannte meine Situation. Und von diesem Moment an begleitete mich dieser menschliche Schutzengel die gesamte Pilgerreise. Sie führte mich zurück ins Hotel, wenn ich die Tagesstrapazen nicht durchstand. Sie gab mir die nötige Sicherheit und hielt Fürsprache bei Gott für mich. Dieser Schutzengel versprach mir sein dauerhaftes Gebet bis auf den heutigen Tag. Vergelt´s Gott! Gleichzeitig kümmerte sich unser nationaler geistlicher Assistent um mich. Wir besuchten den Barmherzigen Jesus in Rom und verweilten im Gnadenstrom zwischen der Statue der Gottesmutter von Fatima und dem Bild des Barmherzigen Jesus. Ich offenbarte ihm meine Situation. Abseits von der Gruppe führte er mich am Abend an das Grab des heiligen Petrus. Wir waren fast ganz alleine. Mein ganzes künftiges Arbeiten wurde unter den Schutz dieses Apostelfürsten gestellt.
Neben meinen Sondertouren in Rom erlebte ich zum ersten Mal auch die wunderbare Familie der Wohltäter von KIRCHE IN NOT. Zahlreiche Begegnungen gaben mir ein Bild von den Leuten, um die ich mich künftig wohl zu kümmern hatte. Ich durfte wirklichen Glauben finden. Dieser war begleitet von der Liebe zum Papst in Rom und einer Treue zu den Aufgaben unseres Hilfswerkes, wie ich es zuvor noch nie erlebt hatte. Die Begegnungen waren ein Geschenk und eine Einladung.
Ein weiteres Ereignis dieser Romwallfahrt hat sich tief in mein Herz eingebrannt. Da es sich um eine Wallfahrt des Gesamtwerkes handelte, waren KIRCHE IN NOT-Reisegruppen aus aller Welt anwesend. In einem großen Gottesdienst sollten alle Länder für ihren Dienst an den Notleidenden neu gesendet werden. Als Zeichen wurde jedem Nationaldirektor eine über einen Meter hohe Kerze mit dem Logo von KIRCHE IN NOT übergeben. Als man das deutsche Büro ausrief, erwartete ich, dass meine Vorgängerin und noch amtierende Geschäftsführerin, in der Prozession mit nach vorne ging und die Kerze in Empfang nahm. Sie aber schickte mich! Mit zittrigen Händen nahm ich die Kerze in Empfang. Mit letzter Kraft, und das meine ich im wahrsten Sinn des Wortes, trug ich die schwere Kerze, so lange es die Planungen erforderten. Eines wurde mir so nach und nach klar. Ich wurde soeben gesendet, zusammen mit den deutschen Freunden unseres Hilfswerkes in die Zukunft zu gehen. Ich sollte die Aufgabe unseres Gründers, Pater Werenfried, in unserem Land weiter tragen. Ich, der selbst die „Schule der Liebe“ nötig hatte, sollte für andere zu einer „Schule der Liebe“ werden. Noch aber war ich etwas zögerlich.
Mai 2000 – Klarheit
Zuhause angekommen aßen wir am Abend in froher Familienrunde eine der besten Pizzen, die ich je gegessen habe. Die Spannung der Reise fiel von mir ab. Meine Frau war froh und dankbar, dass sie mich wieder gesund vom Bahnhof abholen konnte. Und auch die Kinder freuten sich auf ihren Papa.
Immer noch mit innerem Zögern, fuhr ich nach der Romwallfahrt, wieder nach München in die Arbeit. In diesem Moment geschah etwas Sonderbares. Als ich mich auf den Stuhl im Büro des Geschäftsführers setzte, überkam mich ein Gefühl der Sicherheit und der Zuversicht. Das Zögerliche verschwand und die Klarheit: „Hier ist dein Platz!“ nahm von mir Besitz.
Jetzt war ich bereit für meinen Dienst.
Als jüngster Mitarbeiter des gesamten deutschen Zweiges übernahm ich mit knapp 32 Jahren die Verantwortung. Ich durfte in einem guten Team arbeiten. Zu Beginn meiner Tätigkeit wurde von verschiedenen Seiten die Sorge geäußert, dass wir mit unserer klar katholischen und papsttreuen Einstellung wohl bald keine jungen guten Mitarbeiter mehr für uns gewinnen werden können. Zum Ende meiner Tätigkeit hat sich genau das Gegenteil bewiesen.
Die Kerze
Von diesem Tag an wurde die Sendungs-Kerze aus Rom der Begleiter meines Alltags. In schwierigen Entscheidungen schenkte sie mir mit ihrem Sendungslicht Orientierung. In Zeiten der Schwäche nahm ich sie fest in die Hand und erinnerte Jesus an meinen Auftrag. Zum Gebet spendete sie ihr Licht. Auch alle Mitarbeiter hatten das Angebot, die Kerze in besonderen Situationen anzuzünden. Ich wusste nicht wie lange diese Kerze ausreichen würde. Für mich war sie von Beginn an ein starkes Symbol.
Ich bin Bettler von Beruf
Nun war ich also Bettler von Beruf. Wenn mich Leute nach meinem beruflichen Werdegang fragten, antwortete ich meistens etwas launisch: Zuerst war ich ein – in diesen Zeiten noch – angesehener Banker. Später wechselte ich zu den Kleidersammlern, die immerhin ihr Geld noch selbst verdienten. Nun bin ich als Bettler gelandet.
Interessanter Weise hatte ich damit aber nie ein Problem. Im Gegenteil. Ich sah unseren Auftrag als einen wunderbaren Vermittlungsdienst. Es war das Charisma von Pater Werenfried und allen, die sich in diesen Dienst stellten. Wir durften die Vermittler von Liebe sein. Das Geld war dazu nur ein Hilfsmittel. Auch ging es nicht um eine Einbahnstraße. Im Gegenteil! Die Gebete, die die Empfänger der materiellen Hilfe zurückgaben, hatten oft mehr Liebe im Gepäck als bei ihnen ankam. Durch Briefe und Auslandsreisen durfte ich dies mehr als deutlich erfahren. Es durchströmte mich so manches Mal ein tiefes Gefühl der Freude und Dankbarkeit. Es ist ein Geschenk, an diesem Kreislauf der Liebe Anteil zu haben.
Unser nationaler geistlicher Assistent führte mich zu einem weiteren Aspekt meiner Aufgabe. Aus theologischer Sicht, so erklärte er mir, ist die Spende weniger ein freiwilliger gnädiger Liebesdienst, nach dessen Erledigung wir uns anerkennend auf die Schulter klopfen dürfen. Es ist viel mehr ein Auftrag der die beiden Hauptgebote, die Gottes- und Nächstenliebe, betrifft. Jeder Christ trägt Verantwortung für seinen Nächsten. Wir stehen laut den Worten der Bibel tatsächlich in einer Pflicht. Wenn wir dort vom reichen Prasser lesen, sollten wir uns wirklich selbst prüfen, in wie weit ich mein Leben ändern sollte. Pater Werenfried sprach dazu: „Wir im wohlhabenden Westen haben einen anderen Weg zum Himmel als Menschen in Not, Verfolgung und Elend.“ Noch deutlicher wird Papst Franziskus: „Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!“ Unsere Liebe sollte so weit gehen, dass es auch etwas schmerzt! Diese Liebe erfüllt sich nicht nur im Geben von Geld, sondern diese Liebe fordert unsere gesamte Person. Es geht um jede Art von Werken der geistlichen und leiblichen Barmherzigkeit. Darin steht das Gebet gleichwertig neben der tätigen Hilfe und auch neben dem Auftrag meinen Nächsten zu Gott zu führen. Wir wurden nicht müde, unsere Freunde zu dieser Sichtweise hinzuführen. Es ist dies der Auftrag und das Charisma, das Gott unserem Gründer und seinem Werk, anvertraut hat. Wir können nicht anders handeln, wir sind in der Pflicht.
Die Liebe unserer Freunde
Eine meiner schönsten Aufgaben bestand darin, mit den zahlreichen Freunden und Wohltätern des Hilfswerkes in Kontakt zu treten. Ich freute mich immer über die Zeilen, die ich unserem Rundbrief, dem „Echo der Liebe“ beifügen durfte. Ebenso war es mir ein Vergnügen, den Menschen für ihre große Liebe und ihre Spenden zu danken. Ich sah darin die Möglichkeit, den Menschen einen kleinen Gedanken zu schenken; etwas, das auch mein Herz gerade berührte. Es waren einfache Briefe und so manches Mal wurde ich auf meine falsche Rechtschreibung hingewiesen. Ein Freund unseres Werkes schrieb mir als Antwort auf meinen Text sinngemäß, dass man die Einfachheit meines Gemütes im Text erkenne, dass dies aber für ihn ein Zeichen von Ehrlichkeit sei. Er bat mich, daran nichts zu verändern. Nun ja, ein großes Lob war es nicht, aber ich konnte damit leben.
Da meine Heimat in Bayern liegt, war es für mich selbstverständlich, als katholisches Hilfswerk, allen mit einem „herzlichen Vergelt´s Gott“ zu danken. Im ersten Moment war mir nicht bewusst, dass dieser Dank nicht überall zur Umgangssprache gehört. Ich wurde darauf hingewiesen. Also versuchte ich den Praxistest und erfuhr, dass selbst in nördlichen katholischen Kreisen mein Dank verstanden wurde. Wie sagte mir ein Freund: „Wir sagen das nicht, aber wenn wir einen Brief aus München erhalten, können wir schon etwas damit anfangen.“ Ich blieb bei meinem vertrauten Vergelt´s Gott. Es war meine Überzeugung, dass den Menschen mein „Danke“ nicht wirklich hilft. Es geht viel mehr darum, die Menschen auf den einzigen wirklichen Dank hinzuweisen: Gott möge die Liebe der einzelnen Menschen beantworten. Dies war immer mein innigster Wunsch. Deshalb: Ein herzliches Vergelt´s Gott!
Die tiefsten und ergreifendsten Berührungen erlebte ich während meiner zahlreichen Telefonate. Ich liebte die unmittelbare Begegnung am Telefon, da ich meinen Partner in seiner gesamten Stimmung erleben konnte. Es war ein tatsächlicher Austausch möglich. Probleme konnten direkt geklärt werden. Freude war spürbar. In diesen Gesprächen erlebte ich immer wieder äußerst berührende Situationen.
In zahlreichen Gesprächen durfte ich erkennen, wie groß Liebe sein kann. Oft gaben die Wohltäter wirklich von ihrem Nötigsten. Sie sprachen von Liebe und von Vertrauen, das Gott immer beantwortet habe. Sie bestätigten die Aussagen von Pater Werenfried, der sinngemäß sagte, dass erst eine Liebe, die weh tut, eine richtig Liebe sei. Und, dass Gott sich mit seiner Antwort erkenntlich zeigen wird. Oft kam ich mir wirklich schlecht und beschämt vor. Ich, der im Büro saß und jeden Monat ein Gehalt für meine Arbeit bekam, erkannte meinen niedrigen Entwicklungsstand in Sachen Liebe und Gottvertrauen.
Weltweite Aufgabe
Nun kehrte der Alltag mit all seinen Freuden und Problemchen ein. So nach und nach durfte ich die Situation in den verschiedenen Teilen der Welt kennen lernen. Da die Projektarbeit bei KIRCHE IN NOT in der Zentrale in Königstein zusammengefasst ist, sind die direkten Begegnungen mit der Weltkirche nicht so intensiv. Durch Gespräche und Vorträge der Länderreferenten bekam ich jedoch einen guten Einblick. Auch zahlreiche schriftliche Informationen schafften eine wirkliche Basis. Immer wieder bestand auch die Möglichkeit die jeweiligen zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei einer ihrer Projektreisen zu begleiten.
Alles, was ich in den Jahren vor meiner Arbeit bei KIRCHE IN NOT als Freund des Hilfswerkes durch die Rundbriefe erlebte, bekam nun ein Gesicht. Die Tränen in den Augen der Menschen erlebte ich von Angesicht zu Angesicht. Ich erkannte immer klarer, welche Ursachen hinter den einzelnen Notsituationen standen. Die Dringlichkeit unserer Aufgabe war beinahe erdrückend.
Pater Werenfried hatte bezüglich unserer Aufgabengebiete eine ihm eigene Antwort. Sinngemäß sagte er, dass die Aufgaben von KIRCHE IN NOT nicht in bestimmte Bereiche aufgeteilt oder auf bestimmte Länder festgelegt werden können. Aktuell hilft KIRCHE IN NOT in rund 140 Ländern. Er sah überall dort eine Aufgabe, wo der Teufel die Beziehung der Menschen zu Gott versucht zu stören. Dafür gibt es zahlreiche Gründe: Armut, Verfolgung, politische Auswüchse, Gewalt aus religiösen oder sonstigen Gründen und auch ein Zeitgeist, der von Gott trennt. Hier weint Gott seine Tränen. Diese Tränen in den Augen der Menschen zu erkennen war eines seiner Charismen. Diese Tränen zusammen mit Hunderttausenden seiner Freunde zu trocknen war sein ganzes bestreben. Mehr noch, es soll unser aller Bestreben werden. Wir sind aufgefordert, eine Veronika und ein Simon von Cyrene zu sein.
Im tiefsten Sinn ging es unserem Gründer immer um die für die Ewigkeit bestimmte Seele. Er gab uns die klare Weisung, nicht auf die werbewirksamsten Projekte zu schauen oder uns der Welt zu sehr anzupassen. Er war überzeugt, dass Gott uns, solange wir in SEINEM Willen arbeiten, immer helfen wird, die notwendigen Mitteln zu beschaffen, um unseren weltweiten pastoralen Hilfsdienst zu erfüllen. Pater Werenfried predigte uns das Vertrauen. Er selbst äußerte sich einmal sinngemäß, dass er oft nicht mehr wisse, wo sein Vertrauen aufhöre und der Leichtsinn beginne. Er wurde von Gott nicht enttäuscht.
Es waren einige Überzeugungen von Pater Werenfried, die den Unterschied ausmachten. Von Anfang an war unser Gründer immer für gute Ideen offen. Er wusste, dass nicht nur große Projekte Großes bewirken können. Oft sind es gerade die kleinen Ideen, die von Gottes Geist durchglüht sind. Entdeckte Pater Werenfried eine gute Idee und erkannte eine geisterfüllte Person dahinter, sagte er die Hilfe zu. Das Geld war dann in seinen Augen kein Problem mehr. Auch begann er jedes Jahr von Null. Er war überzeugt, Projekte auch ohne Geld auf dem Konto – rein auf das Vertrauen zu Gott und den Spendern bauend – zusagen zu können. Ein großes Anliegen war ihm, nicht nur den gebildeten und der internationalen Sprachen mächtigen Antragsteller zu helfen. Er setzte den Maßstab, dass wir zu dienen haben und uns bemühen müssen, auch fremde Sprachen zu lesen und zu verstehen. Aus den verschiedenen Ländern sammelte er seine Mitarbeiter ein. Er wusste um die Wichtigkeit der Länderkenntnis. Eine gute und effektive Hilfe ist nur möglich, indem die Situationen in den einzelnen Ländern auch verstanden werden. Mit unserem deutschen Denken kommt man da nicht wirklich ans Ziel. Selbstverständlich forderte er zu jedem Projektantrag auch die Zustimmung durch den örtlichen Bischof oder durch die Ordensoberen. Alles sollte im notwendigen Gehorsam gegenüber der Kirche geschehen. Formulare und sonstige Bürokratie waren ihm zuwider. Sie sollten auf das Notwendigste reduziert bleiben. Pater Werenfried sah darin die Gefahr, dass wir uns über die Menschen in Not und Bedrängnis erheben. Es würde nur zu leicht das Gebot der Liebe und des Dienstes verletzen.
Neben den materiellen Hilfen sah Pater Werenfried die menschliche Seite. Im Kontakt mit unseren Projektpartnern wünschte er immer auch eine seelsorgerliche und menschliche Begleitung. Er bat um das gegenseitige Gebet. Nach der Wahl von Papst Franziskus entdeckte KIRCHE IN NOT einen Brief, den dieser uns nach seiner Ernennung zum Kardinal im Jahr 2001 schrieb. Ich zitiere ein wenig davon, weil hier diese vertraute Beziehung so schön sichtbar wird: „ … Ebenfalls bedanke ich mich … für das Geschenk … In der Erzdiözese Buenos Aires führen wir seit drei Jahren die ‚Erzdiözesane Mission‘ durch, d.h. wir besuchen jedes Haus, jeden Menschen, bis die Verkündigung in den verschiedensten pastoralen Bereichen … angekommen ist. … Ich bitte Sie darum, für diese Missionsarbeit inmitten der Großstadt zu beten. Ich verspreche Ihnen, für die Mitarbeiter und die Wohltäter von Kirche in Not zu beten. … Vereint in unserem Herrn und in seiner gebenedeiten Mutter verbleibt ihr Jorge Mario kard. Bergoglio s.j., Erzbischof von Buenos Aires“
Ich darf ihnen, liebe Leserin und Leser dieser Zeilen, wirklich sagen: Ich liebe dieses Hilfswerk und seine Art zu arbeiten. Beten sie für dieses Hilfswerk und bitten Sie Gott, dass es immer
seinem besonderen Charisma treu bleiben kann. Ähnlich wie für die ganze Kirche gilt auch für uns immer wieder die Rückbesinnung auf das Zauberwort von Papst Benedikt XVI.: Entweltlichung!
Neue Büros entstehen in aller Welt
Während meiner Zeit bei KIRCHE IN NOT gründete die internationale Zentrale mit großem Erfolg ein eigenes Büro in Polen. Es war die logische Folge des Grundgedankens von Pater Werenfried. Wie aus dem ersten Empfängerland Deutschland eines der größten und treuesten Spenderländer wurde, so geht unser Werk in jedes Land, das sich aus Schwierigkeiten erholt hat und bittet dort die Menschen um Hilfe für die weltweite Not. Dies geschah auch schon in Chile und Brasilien. Aus Dank für die empfangene Hilfe entsteht somit eine neue Hilfsbereitschaft: Es wird deutlich, dass wir in Christus ein Leib sind.
Eine Freude war es mir, den zukünftigen Direktor von Polen in unserem Büro in München begrüßen zu dürfen. Die Erfahrungen und Einblicke in unsere Arbeit sollten ihm helfen, sein Büro in Polen aufzubauen. Im Rückblick kann ich sagen, dass er uns nicht kopiert hat, sondern vieles besser gemacht hat. So dürfen wir Länder voneinander lernen. Immer wieder gilt es neue Wege zu gehen.
Im Sinne von Pater Werenfried
Die Gesundheit von Pater Werenfried war durch verschiedene Krankheiten inzwischen geschwächt. Das Gehen fiel ihm schwer. Sein Geist jedoch war wach. So versuchte ich, immer mehr von seinem Charisma zu erkennen. Zu Beginn meiner Tätigkeit verbreiteten wir in Deutschland nur in sehr eingeschränktem Umfang geistliches Material. Da die weltweit beliebte Kinderbibel und auch unser Katechismus „Ich glaube“ in deutscher Sprache vorlagen, fragte ich Pater Werenfried, wie er zu einer Verbreitung in Deutschland stehe. Seine Aussage war klar: „Der Westen braucht jetzt geistliche Nahrung.“ Eigentlich war mir seine Antwort schon im Vorfeld klar. In den geistlichen Richtlinien, die Pater Werenfried veröffentlichte und die unsere Arbeit begleiten sollten, schrieb er mehrfach von unserer Aufgabe, den an Glaubenslosigkeit leidenden Westen nicht zu vergessen. Er sollte Recht behalten, die Kinderbibel „Gott ruft seine Kinder“, der Katechismus „Ich glaube“ und zahlreiche weitere geistliche Lebenshilfen wurden in Deutschland zu einem Renner. Ich persönlich war darüber hinaus überzeugt, dass uns dieser Missionsdienst im eigenen Land, die Herzen und Geldbörsen unserer Freunde für den weltweiten Missionsauftrag öffnen wird. Wer Hilfe – und sei es geistliche Hilfe – empfängt, tut sich leichter mit dankbarem und großzügigem Herzen zu antworten.
Es war mir eine Freude, neben der weltweiten Hilfe für verfolgte, bedrängte und notleidende Christen, auch der Neu-Evangelisation in unserem Land zu dienen. Im Inneren sah ich dabei immer das Lächeln meines sterbenden Vaters. Wenige Tage vor seinem Tod, er konnte bereits nicht mehr sprechen, erzählte ihm mein Bruder, dass wir als KIRCHE IN NOT unsere Bemühungen für die Evangelisation in unserem Heimatland verstärken dürfen. Sein zustimmendes und aufmunterndes Lächeln war für mich wie ein kleines geistliches Testament.
Ich glaube – Kleiner Katholischer Katechismus
Mit besonderer Freude verfolgte ich, wie sich der Umgang mit dem Katechismus im deutschsprachigen Raum veränderte. Während meiner ganzen Jugendzeit galt das Wort Katechismus in breiten Kreisen der Kirche grundsätzlich als Schimpfwort. Als unser Hilfswerk einen eigenen von Rom genehmigten Katechismus veröffentlichte, gab es Länder, die dies mehr oder weniger in ihrer Kommunikation mit den Wohltätern verheimlichten. Sie wollten keine Einbrüche bei den Spenden erleben. Wir in Deutschland gingen damit jedoch sehr aktiv in die Öffentlichkeit. Zum Weltjugendtag in Köln starteten wir eine überaus erfolgreiche Aktion mit allen Pfarreien und mit allen, die sich dafür interessierten.
Bei all den Werbeaktionen für das Glaubensbuch stand mein eigenes Erleben im Hintergrund. Auch ich bekam als Jugendlicher von meinem um 15 Jahren älteren Bruder, dem Priester, einen Katechismus geschenkt. Um ehrlich zu sein, ich las ihn nicht und stellte ihn ins Regal zu der religiösen Literatur. In einem Moment des Zweifelns nahm ich ihn jedoch zur Hand und fand die gesuchte Antwort. In der darauf folgenden Fastenzeit las ich voller Interesse, den gesamten Katechismus – es war kein allzu dickes Buch. Tag für Tag.
Heute sind die verschiedenen Prägungen und Ausgaben des Katechismus in aller Munde und erzielen weltweit, aber auch in deutschsprachigen Ländern große Auflagen. An diesem Beispiel kann man erkennen, wie sich die Welt des katholischen Glaubens in den letzten 15 Jahren verändert hat. Es wurde nicht alles zum Schlechteren. Es gibt durchaus hoffnungsvolle Zeichen. Schön ist es, den Ursprung dieses Interesses gerade bei den Jugendlichen und bei den jungen Erwachsenen zu erleben.
Eine ähnliche Erfahrung machte ich in Bezug auf die Freunde unseres Hilfswerkes. Gerade in der jüngeren Generation erlebte ich die Offenheit für Jesus Christus und für seine Wahrheit. Ich spreche hier nicht von großen Zahlen, aber immer wieder erklärten mir junge Familien, unsere KIRCHE IN NOT als ihr Hilfswerk anzunehmen. Sie schätzten das Charisma unseres Gründers, sie schätzten die klare Bindung von Pater Werenfried an die Wahrheit Jesu Christi, an die Liebe zur Gottesmutter und an die Lehre der katholischen Kirche. In dieser Gesinnung wollten sie ihr Werk der Nächstenliebe, ihre Spende, verwendet wissen.
Der doppelte Hut von Pater Werenfried
Meine Sichtweise des Pater Werenfried war geprägt durch meine lange Beziehung als Freund und Unterstützer, wenn auch mit kleinen Beiträgen. Ich kannte ihn als den Speckpater mit dem Millionenhut in der Hand.
So kam ich eines Tages mit einer Bitte zu ihm. Er möge mir doch auch einen Hut schenken. Zuvor möge er ihn jedoch an seinem berühmten Hut berühren. Bei meinem nächsten Besuch in Königstein, es war zugleich an meinem Geburtstag, überraschte er mich mit seinem „Ersatzhut“. Es gab in seinem Kleiderschrank einen Hut, den er, als sein Originalhut in Reparatur war, für eine Sammlung benützte. Er setzte ihn mir mit einer humorvollen Bemerkung auf den Kopf. Dies war mein wertvollstes Geschenk. Es bedeutete für mich eine Beauftragung, eine zweite Sendung.
Zu einem späteren Zeitpunkt überreichte Pater Werenfried allen so genannten Nationaldirektoren aus allen Ländern, die Geld und Gebet sammelten, einen Hut. Er begleitete diese Übergabe mit dem Hinweis, nun selbst nicht mehr Sammeln zu können und dass nun wir in den jeweiligen Ländern seinen Auftrag übernehmen müssten. Er wünschte sich, dass durch die Vielzahl der Hüte auch das Spendenvolumen steigen möge.
In Deutschland haben wir diesen Hut nochmals geklont und gingen in Zukunft immer mit unseren Hüten zum Kollektieren.
Eine Kapelle zum Nulltarif
Mangels einer Kapelle, trafen wir Mitarbeiter uns jeden Mittag in einem mit Spendermöbel eingerichteten „Wohnzimmer“. Wir stellten ein Bild des Barmherzigen Jesus an die Wand, beteten um 12.00 Uhr mittags den Angelus und anschließend den Rosenkranz zur göttlichen Barmherzigkeit.
Um diesem Gebet einen würdigeren Rahmen zu geben schlug ich meinem Vorstand eine Investition von ca. 800,-- Euro vor, um einen kleinen Gebetsraum einzurichten. Zu meiner Überraschung kam von Vorstandsseite die Idee, eine Kapelle mit dem Allerheiligsten zu planen. In meiner Freude vergaß ich die zusätzlichen Kosten in den Haushaltsplan mit aufzunehmen. Ein Vorstandsmitglied versprach seine Augen nach einer Kapelleneinrichtung offen zu halten. Auch ich überlegte, wie wir alles angehen könnten. Schließlich entschloss ich mich, den heiligen Josef um Hilfe anzurufen.
Pünktlich zum Josefstag am 19. März 2001 meldete sich das oben erwähnte Vorstandsmitglied und sprach von einem kleinen sich auflösenden Kloster in Kaiserslautern. Er meinte, dass die Größe passen könnte und auch der Orden mit der Übergabe der Kapellenausstattung einverstanden sei. Wir würden alles als Geschenk erhalten. Halleluja!
Mit einem ausgeliehenen kleinen LKW, einer Mitarbeiterin und meinem Neffen fuhren wir nach Kaiserslautern. Alles passte. Die komplette Ausstattung, vom Messbuch, über die Kirchenbänke bis hin zum Altar. Darüber hinaus gab es einen liebevollen Kontakt zu den beiden scheidenden Klosterfrauen. Sie gehörten zu den Mallersdorfer Schwestern.
Bisher diente uns ein einfaches Foto-Bild vom Barmherzigen Jesus als Altar. Als ein treuer Freund unseres Hilfswerkes davon erfuhr, sammelte er in seinem Freundeskreis und schenkte uns ein mit Ölfarben gemaltes wunderbares Altarbild mit dem Barmherzigen Jesus. Ein großes Geschenk eines Mannes, der hingebungsvoll seine schwerkranke Ehefrau pflegte!
Am 25. September 2001, es war der Gedenktag meines Namenspatrons, wurde die Kapelle von unserem internationalen geistlichen Assistenten, Pater Joaquin Alliende, eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben.
Vom ersten Gedanken bis zur Einweihung der Kapelle verlief alles wunderbar. Die Betonung liegt auf Wunder ... Gott und seinem Fürsprecher, dem heiligen Josef sei Dank!
Die Bürokapelle bildete nicht nur räumlich den Mittelpunkt unseres Büros. Es war ein wunderbares Gefühl, den leiblichen Jesus, den Sohn Gottes in unserer Mitte zu haben. „Gelobt sei Jesus Christus, in Ewigkeit. Amen.“ Dieser kurze Gruß und eine Kniebeuge, oft nur im Vorbeigehen an der Kapelle, schenkte uns eine wirkliche Verbindung. In der Nähe zum Tabernakel stand unser Korb mit den sehr zahlreichen Gebetsanliegen unserer Freunde und Wohltäter. Regelmäßig nahmen wir diese Anliegen in die heilige Messe und in unser Mittagsgebet.
Auch erfreute mich die Aussage von Pater Alliende, dass ohne Anregung der Zentrale, in immer mehr nationalen Büros, solche Kapellen mit dem Allerheiligsten entstünden. Auch ein Zitat aus seiner Predigt begleitete mich von nun an: Wir müssen nicht erfolgreich sein, sondern fruchtbar. Dieser Hinweis nahm mir innerlich eine Last ab und richtete meinen Blick auf das Wesentliche. Gottes Wille sollte durch uns geschehen. Die Bilanzzahlen eines Hilfswerkes sind zwar wesentlich, aber eben auch nicht alles.
Damit der Glaube lebt
Dieser denkwürdige 25. September 2001 hatte noch weitere Folgen. Ich überlegte, wie wir einem internationalen geistlichen Assistenten, einem gebürtigen Chilenen, eine bayerische Freude bereiten könnten. Nachdem wir aufgrund des Münchener Oktoberfestes, seine Übernachtung in meinen Heimatort verlegen mussten, war das Stichwort gefallen. Pater Alliende war noch nie auf dem Oktoberfest, das selbst in Chile eine ungeheure Anziehungskraft haben muss. Im Anschluss an den Gottesdienst gingen wir also auf das Oktoberfest. Nachdem mein lieber Pater schon auf dem langen Anfahrtsweg von meiner Heimat zu unserem Büro die zahlreichen Wegkreuze bewundert hatte, wurde er beim Betreten des Bierzeltes mit dem zufällig in diesem Moment gespielten, Patrona Bavariae, das ja ein wunderbares Marienlied ist, überrascht. Er war von der bayerischen Kultur begeistert. In dieser wirklich schönen Stimmung machten wir uns wieder auf den Heimweg, vorbei an den verschiedenen Bierzelten der einzelnen Brauereien. Immer wieder blieb Pater Alliende kurz stehen. Er las die Werbeslogans an den großen Plakaten, wie: „... der Himmel der Bayern“ oder „... ein Bier wie Bayern“ usw. Auf einmal war er ganz aufgeregt und sagte mir: „Klaus, wir brauchen auch so einen kurzen Werbespruch mit vier Wörtern, wie die ganzen Brauereien. Mach dich auf die Suche.“ Dies war die Geburtstunde von: „KIRCHE IN NOT ... damit der Glaube lebt!“ Nach verschiedensten Vorschlägen unserer Mitarbeiter, entschieden wir uns zu diesem Satz (Danke Alfons!), da sich darin der tiefste Sinn all unseres Tuns widerspiegelte.
Bis heute ziert dieses Wort jeden Briefkopf und jeden Prospekt unseres deutschen Zweiges von KIRCHE IN NOT. Ich möchte diese Geschichte nicht als Werbung für das Oktoberfest verstanden wissen. Aber um ehrlich zu sein, manchmal ist eine Stunde Gemütlichkeit und Freude produktiver, als Tage voll Arbeit und Plage.
Der Gebetsscheck
Unserem Gründer, Pater Werenfried, war es immer ein großes Anliegen, für die bedrängte und notleidende Kirche, neben Geld auch Gebet zu sammeln. Nach dem uns immer wieder Freunde schrieben, aufgrund von Alter und eigener finanzieller Not, kein Geld mehr überweisen zu können, jedoch auch künftig regelmäßig für uns beten wollten, kam uns da so eine Idee: Wir legten einem unserer Rundbriefe ein Extrablatt bei. Der einleitende Begleittext begann mit den Worten „Liebe Freunde, wir brauchen Ihr Gebet …“. Im Anschluss an den Text folgte ein unausgefüllter Gebetsscheck. Alle unsere Freunde hatten in diesem „Formular“ die Möglichkeit, uns für eine Woche, einen Monat oder auch für ein Jahr ihr begleitendes Gebet zuzusagen. Viele machten davon Gebrauch und sendeten uns ihren mit Namen und Gebetszusage ergänzten Gebetsscheck zu. Wir wollten damit zum Ausdruck bringen, dass uns betende Freunde wichtig sind. Auch wer unserer Aufgabe „nur“ noch im Gebet dienen kann, ist aufs herzlichste eingeladen, sich als vollwertiger Freund und Wohltäter unseres Hilfswerkes zu fühlen. Besonders haben wir zum gemeinsamen Angelusgebet um 12.00 Uhr mittags eingeladen. Nur Gott weiß um die Wirkung der zahlreichen Gebete.
Die neue Welle
Über viele Jahre konnte unser Hilfswerk Materialien und Informationen an alle deutschen Pfarreien zum Tag für die verfolgte Kirche aussenden. Dieser Tag wurde, aus welchen Gründen auch immer, von den Verantwortlichen der Kirche in Deutschland abgeschafft. Auch die über lange Zeit erfolgreichen und breit angelegten Predigt-Touren im Auftrag von KIRCHE IN NOT gingen ihrem Ende entgegen.
Ein Jahr vor meinem Beginn wurde die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit durch meine Vorgängerin neu organisiert. Zahlreiche Pressemeldungen wurden verfasst und Veranstaltungen geplant. Es galt also, neue, möglichst kostengünstige, Möglichkeiten der Werbung zu entdecken. Es drängte uns, für die große weltweite Aufgabe, die wir innerhalb der Weltkirche zu erfüllen haben, neue Freunde zu gewinnen. Wer um die Situation der verfolgten, bedrängten und notleidenden Christen in den verschiedenen Teilen der Erde nicht weiß, kann auch nicht mit seiner Hilfe antworten.
In diesem Moment war mir mein Mitarbeiter Michael Ragg die große Stütze. Ausgestattet mit journalistischem Wissen, das mir ja gänzlich fehlte, konnte Neues entstehen. Wie so oft erlebte ich auch hier Zusammenhänge, wie sie nicht von Hand zu planen sind. Der Programmdirektor Dr. Richard Kocher von Radio Horeb, das zu dieser Zeit noch schwer im Aufbau stand, stammt aus meiner Heimatpfarrei. Er war ebenso seit Jahren ein Freund unseres Hilfswerkes. Ich kannte ihn seit meiner Jugend. Mein oben genannter Mitarbeiter wiederum liebte die Arbeit mit dem Radio. Ich hatte also im entscheidenden Moment einen Profi zur Hand – ohne vorherige Planung. Es kam zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Einerseits bewarben wir in unserem Rundbrief „Echo der Liebe“ durch unsere Programmhinweise das Radio. Andererseits eröffnete sich uns eine ganz neue Möglichkeit, auf die Situation der Weltkirche und auf die Tätigkeit unseres Hilfswerkes hinzuweisen. Das monatliche gemeinsame Rosenkranzgebet am ersten Donnerstag im Monat und regelmäßige Beiträge zur Weltkirche waren die Grundpfeiler. Unser Radioengagement war geboren. Im Laufe der Zeit fand ein weiterer Mitarbeiter seine Freude am Radiomachen. Es war und ist für KIRCHE IN NOT ein großer Segen.
Direkt ins Wohnzimmer
Bereits vor Jahren hatte Pater Werenfried die Wichtigkeit der christlichen Medienarbeit erkannt. Nachdem die Menschen immer weniger in den Kirchen zu erreichen waren, sah er sich gezwungen, in ihre Wohnzimmer zu kommen. Und dies funktioniert nun mal durch das Fernsehen. Er erkannte die weltweite Chance der Missionierung durch dieses Medium. Pater Werenfried richtete in der internationalen Zentrale in Königstein ein Fernsehstudio ein. Diese Arbeit brachte in zahlreichen Ländern, vor allem in Lateinamerika und in vielen Gebieten mit wenigen Priestern, einen großen Erfolg. Im hoch technisierten Westen wollte sich der Erfolg nicht so recht einstellen. Es wurden lediglich Videocassetten mit religiösem Inhalt über die Weltkirche verbreitet.
Auch hier kam uns die Zeit entgegen. Mit den wenigen christlichen Fernsehsendern, die im deutschsprachigen Raum, zum Teil auf abenteuerliche Weise „geboren“ und erhalten wurden, suchten wir Kontakt. Diese Sender benötigten dringend kostenloses Sendematerial. Bei uns in Königstein wiederum lagen zahlreiche weltweit gesendete Sendungen bereit. Die meisten wurden in vier oder mehreren Sprachen, meist auch in Deutsch, produziert. Wieder waren wir einer der ersten, die sich auf diese „Zusammenarbeit“ mit z.B. K-TV, EWTN oder Bibel-TV einließen. Durch das vorhandene Studio und durch den Mut meines Medienleiters Michael Ragg, der sich mit großer Freude in die Arbeit der Fernsehmoderation einarbeitete, eröffneten sich gänzlich neue Möglichkeiten.
Ich möchte ergänzen, dass dies alles ohne große finanzielle Aufwendungen geschah. Fast ausschließlich mit eigenem Personal und mit bereits vorhandener Technik entstanden Sendeformate, die seit vielen Jahren einen festen Zuschauerkern finden.
Durch diese Präsenz in den neuen christlichen TV-Sendern kamen wir tatsächlich in die Wohnzimmer unserer Freunde und Interessenten. Die Zuschauer waren in den meisten Fällen genau unser Zielpublikum: Menschen, die sich für den Glauben an Jesus Christus interessierten und die katholische Kirche liebten. Ebenso Suchende in Sachen des Glaubens.
Für all dies gingen zu gegebener Zeit die Türen auf. Die benötigten Mitarbeiter stellten sich ein und arbeiteten voll Eifer, Können und Begeisterung. Unsere religiöse Einstellung passte zusammen. Auch, wenn immer wieder einmal Schwierigkeiten auftraten: Das gemeinsame Ziel schenkte uns Freude und Zuversicht. Die positive Entwicklung lag nicht an mir. Es geschah. Ich legte es dem Herrn vor den Tabernakel und lies es geschehen.
Alltag eines Hilfswerkes
Immer wieder einmal wurde ich gefragt, ob ich die Tätigkeit im Ehrenamt ausführe und ob es neben mir und unserer freundlichen Telefondame auch noch weitere Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter geben würde. Ich muss bekennen, dass auch ich schon so oder so ähnlich gedacht hatte. Auch ich konnte mir früher nicht vorstellen, was der Alltag an Aufgaben mit sich bringt:
Am Morgen wird das Sekretariat mit einem oder mehreren Stapeln Post begrüßt. Jeder Brief hat es verdient, gelesen und bearbeitet zu werden. Angekündigte Spenden für bestimmte Zwecke müssen auch gewissenhaft dafür verwendet werden. Anfragen wollen beantwortet werden. Briefe mit besonderen Inhalten bedürfen auch einer besonderen Behandlung. Pater Werenfried hat uns die seelsorgerliche Aufgabe in Bezug zu unseren Wohltätern fest ans Herz gelegt. Briefe, die mit Tränen geschrieben wurden, warten auf einen Trost. Der Tod eines Ehepartners hinterlasst seine Spuren. Spender, die ihren Brief als Freund geschrieben haben, sollen erfahren, dass ihre Liebe bei uns ankam. Darüber hinaus ist es eine Selbstverständlichkeit, dass – soweit die Spender es uns nicht „verboten“ haben – ein Spendeneingang auch bestätigt und bedankt wird. Dieser Brief dient auch dazu, dass der Spender weiß, dass seine Überweisung gut angekommen ist. Darüber hinaus durften wir regelmäßig Vermächtnisse und kleinere oder größere Erbschaften in Empfang nehmen.
Zur gleichen Zeit gehen in der so genannten EDV, die Auszüge und Spendeneingänge des Tages ein. Je nach Zeitpunkt, das heißt, je nachdem wie viele Tage seit dem letzten Rundbrief vergangen sind, können das hunderte einzelner Beträge sein. Selbstverständlich wird davon der Großteil automatisch verbucht. Trotzdem steht dahinter eine Menge an Arbeit. In Rechenschaft vor Gott, den Wohltätern und dem Finanzamt, muss alles seine Ordnung haben. Auf falsch ausgestellte Zuwendungsbestätigungen steht schlimmsten Falls der Entzug der Gemeinnützigkeit. Und ohne eine gewissenhafte Archivierung begeht man Rechtsbruch.
Während all dem klingelt regelmäßig das Telefon. Und um es ehrlich zu sagen, je öfter es klingelte, umso lieber war es mir. Ob Freude, Auftrag, Ärger oder Dank, der direkte Kontakt mit unseren Freunden ist der schönste Dienst. Hier erlebte ich die schönsten Geschichten. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass über unseren Gründer zahlreiche Begebenheiten im Umlauf waren. So manche davon schob ich schon mal in die Kategorie „Legende“. So auch die Geschichte, nach der unser Gründer, der zu seinen Spitzenzeiten wohl gut über 120 kg wog, leidenschaftlich gerne per Autostopp reiste. Üblicherweise pflegte er mehr die größeren Wagen anzuhalten, da er dort nicht nur bequem fahren konnte, sondern sich auch dank seiner meisterhaften Unterhaltungskunst, eine kleine oder größere Spende für seinen chronisch leeren Millionenhut erhoffte. Als ihn einmal ein Kleinwagen mitgenommen hatte, so erzählte man sich, sei dieser unter der Masse seines Körpers zusammen gebrochen. Na ja, dachte ich … Aber eines Tages erzählte mir eine ältere Dame, eine treue Spenderin, am Telefon: „Ach wissen sie, wir hatten vor vielen Jahren eine so intensive Erfahrung mit Pater Werenfried, dass wir ihn nie vergessen konnten. Wir fuhren mit unserem VW Käfer auf einer Landstraße, als ich den von mir und meinem Mann hoch geschätzten Pater am Wegesrand stehen sah. Wir stoppten und baten ihn voller Freude, doch bei uns mitzufahren. Wir hatten ein altes Auto und haben nicht das Gewicht unseres lieben Paters beachtet. Als er einstieg brach der Autositz durch das Auto und Pater Werenfried saß etwas tiefer auf der Straße …“ Seit diesem Tag zweifelte ich die zahlreichen Geschichten über unseren Gründer nicht mehr an, sondern nahm sie als gegeben hin.
Diese vielen Tätigkeiten und noch einiges mehr, können natürlich nicht von einer Person erledigt werden. Dazu sind mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nötig. Da uns bewusst war, dass jeder Euro, den wir ausgeben, aus oft bitter abgesparten Spenden war, versuchten wir immer, möglichst wenig Personal zu beschäftigen.
Manchmal ging es dabei auch etwas „stressig“ zu. Dass meine Stärke nicht in der Geduld lag und meine Arbeitsweise wohl oft sehr hektisch war, lässt sich an folgender Begebenheit ersehen: Mit einem wirklich guten Mitarbeiter, der breit in jedem Bereich des Hauses eingesetzt werden konnte, ging ich wohl einmal zu weit. Er kam zu mir ins Büro und bot mir an, ihm doch die Hälfte meiner hektischen Art zu geben, er würde mir dafür einen Teil seiner Ruhe schenken. Meine Antwort war wohl nicht zufriedenstellend. Nach weiteren zehn Minuten kam er wieder und sagte in freundlichem aber sicheren Ton: Klaus behalte deine Hektik, ich will auch nicht die Hälfte davon. Und verschwand aus meinem Büro.
Gemeinsam sind wir stark
Claus Hipp, der Hersteller von Babynahrung, wurde über das Geheimnis seines Erfolges gefragt. Er antwortete, dass es sein Ziel sei, in jedem Fachbereich Menschen zu beschäftigen, die ihre Aufgabe besser verstehen als er selbst. Er fühle sich für das Gesamte verantwortlich.
Genau dieses durfte ich erleben. Nicht, weil es meine Philosophie gewesen wäre, sondern weil es schlicht so war. Ob im Bereich der EDV, im Sekretariat, in rechtlichen Fragen oder im weiten Feld der Medien.
Interessant war für mich zu erleben, welche Fähigkeiten in so mancher Mitarbeiterin und in so manchem Mitarbeiter vorhanden waren. Nicht nur einmal erlebte ich, dass wir genau in dem Moment, wo ein bestimmtes Können nötig war, es in den eigenen Reihen bereits im Hause hatten. Es geschah zum Beispiel, dass aus einer angedachten Sekretärin eine prima Mitarbeiterin für die Öffentlichkeitsarbeit wurde.
Im täglichen Segen und Gebet empfahl ich dieses ganze Gebilde dem dreifaltigen Gott an. Auch versuchte ich die Einmischung der Gottesmutter Maria und diverser Engel und Heiligen durch meine Anrufungen zu erreichen. Einmal schrieb ich eine ganze Liste mit Heiligen, denen ich alle eine bestimmte Aufgabe übereignete. Jeder kann darüber denken wie er möchte, ich bin damit gut gefahren. Ich sah das deutsche Büro nicht nur in meiner Verantwortung, ich war überzeugt, dass sich in jedem Leben und auch gerade bei einem Hilfswerk mit unserer Ausrichtung, wirklich Himmel und Erde berühren.
Leider blieben auch in unserem Büro über die vielen Jahre Streit und Ärger nicht aus. Manche Situation lag wie ein bleierner Mantel auf uns. Es menschelte. Oder war es doch so, wie ein lieber Mitarbeiter mir in einer schwierigen, aber für unsere Aufgabe äußerst wichtigen Situation zuflüsterte: „Klaus, ich glaube es ‚teufelet‘ schon wieder.“ Auch die eine oder andere mehr oder weniger freiwillige Trennung von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin lag in meiner Zeit. War es wirklich notwendig? Rückblickend gesehen, kann es auch an meiner Person gelegen haben. Für alle meine Fehler bitte ich um Vergebung.
Immer wieder kam mir der Spruch in den Sinn, den mir meine Vorgängerin als Ermutigung mit auf den Weg gab: „Wo viel Licht ist, ist auch Schatten.“ Mein Versuch war, ehrlich zu sein und auf die Situation der einzelnen Person einzugehen. Eine absolute Gleichbehandlung hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Gerade ein christlicher Arbeitgeber sollte auch die eine oder andere Schwäche oder gar Krankheit einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters ertragen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass diese Schwächen und Krankheiten nicht immer für alle ersichtlich zu Tage treten und so manches nicht öffentlich ausgesprochen werden kann. Nicht jede Entscheidung eines leitenden Mitarbeiters kann deshalb in seinem Umfeld verstanden werden. Da tut es gut, wenn innerhalb des Teams ein festes Grundvertrauen besteht.
Meine stillen Helfer im Hintergrund
Neben meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Büro hatte ich fortwährend auch stille Helfer im Hintergrund. Ich bedurfte ihrer dringend. Der liebe Gott hat für alles gesorgt:
Da mein theologisches Wissen nicht über den gesunden Hausglauben eines Familienvaters ging, stand mir mein großer Bruder Manfred, für alle den katholischen Glauben betreffenden Fragen, zur Verfügung. Ob es um Fragen von Wohltätern ging oder um das richtige Verständnis für kircheninterne Streitereien – es gab immer wieder Grund für einen kurzen oder auch längeren Anruf. Dieser Rückhalt war mir eine große Hilfe und ein großes Geschenk.
So gut der Eifer eines jungen Teams ist, so leicht können durch unbedachte Worte oder Aktionen auch dumme Fehler geschehen. Selbst ein über Jahrzehnte aufgebautes Vertrauen kann mit einem Brief im falschen Ton zerstört werden. Ich war dankbar, mit meinen Eltern, die ja das Werk seit Jahrzehnten kannten, die besten Kritiker gleich im eigenen Haus zu haben. Immer wieder mussten sie Texte und Aktionen vor der Veröffentlichung prüfen. Sie waren für mich eine nicht zu unterschätzende Hilfe.
Grundsätzlich war das Gespräch mit meiner Familie immer wieder auch ein Ideengeber. Dank meiner ältesten Tochter wurde die Kinderseite in unserem Rundbrief eingeführt. Meine Frau schenkte der kleinen Prayerbox den Namen. Sie wurde ausgestattet mit kleinem Kreuz, Fingerrosenkranz sowie Miniweihwasserfläschchen und wurde zu einem wirklichen Renner. Es gäbe hier noch so manches zu erzählen
Die wichtigste begleitende Aufgabe meiner Frau war allerdings das Korrekturlesen. Wie eingangs erwähnt, hat mein schulisches Wissen so manche Lücke. Insbesondere mit der deutschen Sprache stand und stehe ich ein wenig oder auch mehr auf Kriegsfuß. Geduldig und meist ohne Murren war sie die Erstleserin meiner Texte. Danach folgte meist der geübte Blick durch den hauseigenen Journalisten.
Papst Johannes Paul II. und Pater Werenfried
Es war kein Geheimnis, dass Pater Werenfried ein großer Freund von Papst Johannes Paul II. war. Beide verstanden sich und beide hatten voneinander eine hohe Meinung. Der Papst liebte unser Hilfswerk.
Mit jedem Jahr wurde unser lieber Pater Werenfried älter. Was wird die Zukunft bringen? Immer mehr waren auch unsere nationalen geistlichen Assistenten gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Sehr deutlich wurde diese bei einem Besuch in Rom. Im Beisein von Papst Johannes Paul II. wurde jedem geistlichen Assistenten ein Kreuz mit der Inschrift „In Treue dienen“ überreicht. Es war eine wirkliche Aussendung und große Wertschätzung. Ein Zeichen, das auch Verantwortung bedeutete.
Unser Werk durfte immer an der Seite des jeweiligen Papstes seinen Dienst tun. Es tat gut, in diesem Umfeld zu arbeiten. Es war ein Geschenk!
Begegnung in Rom
Die Zeit mit Pater Werenfried neigte sich immer mehr dem Ende zu. Es war durchaus spürbar. Auf Einladung der Mutter Kirche, waren alle Mitarbeiter, die irgendwie in der Leitung des Werkes auf internationaler oder nationaler Ebene tätig waren nach Rom eingeladen. Es sollten Tage des Nachdenkens und auch Tage der Zukunftsplanung werden. Unsere tiefe Verbindung zum Papst und unsere Heimat in der Weltkirche waren immer spürbar.
Für mich persönlich waren diese Tage voller einmaliger Erlebnisse. Dies begann mit der Unterkunft. Wir waren eingeladen, im päpstlichen Gästehaus, Santa Marta, zu übernachten. Während einer Papstwahl, dient dieses Haus als Unterkunft für die Kardinäle. Es war schon ein besonderes Gefühl. Da dieses Haus innerhalb des Vatikans steht, hatten wir über einen Hintereingang Zugang zum Petersdom. In diesen Tagen wurde mir so richtig bewusst, dass dieser Dom neben unserer Pfarrkirche und dem Dom in der eigenen Diözese, wirklich die Heimatkirche eines jeden Katholiken ist.
Ein weiterer Höhepunkt war der Gottesdienst in einer päpstlichen Kapelle. Es war das erste Mal und wird wohl auch das letzte Mal gewesen sein, dass ich durch diese heiligen Hallen schreiten durfte. Ein großes Geschenk!
In einer Pause während der zahlreichen Besprechungen, Vorträge und Arbeitssitzungen durfte ich eine für mich besonders wertvolle Begegnung mit Pater Werenfried erleben. Immer, wenn wir Verantwortliche aus den 17 Ländern zusammenkamen, gab es viel zu sprechen. Und so ergab es sich, dass Pater Werenfried ganz alleine in seinem Rollstuhl saß. Niemand war in seiner Nähe. So ging ich zu ihm hin, fragte wie es ihm gehe und bat ihn, dass er für all unsere Gespräche und Arbeiten beten soll. In diesem Moment schaute er mich groß an und antwortete: Betet ihr für mich! Diese demütige Antwort zeigte mir seine Größe. Ich werde diesen Moment wohl nie mehr vergessen.
Es ist hier nicht der Ort über den Inhalt der römischen Tage zu schreiben. Einen wichtigen Auftrag an KIRCHE IN NOT möchte ich doch nennen: Die Weltkirche benötigt unser Hilfswerk dringend. Es gibt zahlreiche kirchliche Organisationen, die sich um die verschiedensten sozialen Belange kümmern. Die Hilfswerke, die wirklich mit großem Schwerpunkt, auf die seelsorgerlichen Nöte der verfolgten, bedrängten und notleidenen Kirche blicken, sind wohl sehr selten. Wir wurden also dringend gebeten, den Weg von Pater Werenfried in großer schöpferischer Treue weiterzugehen.
Nicht immer ging es jedoch so ernst und fromm vor sich. Zusammen mit meinem nationalen Assistenten, Pater Herman Josef Hubka, der Rom sehr gut kannte, unternahmen wir in diesen Tagen spannende und einzigartige Nachtwanderungen. Leider konnten wir aufgrund unserer erlesenen Wohnadresse die nächtlichen "Stadtführungen" nicht zu weit ausdehnen. Die besten Eisdielen Roms haben wir dennoch gefunden.
Als die Tage ihrem Ende zugingen, erfuhren wir noch eine schöne Bestätigung für unser deutsches Büro. Pater Alliende, der internationale geistliche Assistent, überreichte jedem Teilnehmer ein Bild des Barmherzigen Jesus mit dem Schriftzug „Jesus, ich vertraue auf Dich.“ Es war das Altarbild unserer deutschen Bürokapelle. Oft wird in Deutschland über dieses Bild gelächelt. Sein Wert beruht auch nicht in der Kunst, sondern es ist ein von Gott geschenktes Gnadenbild. Wie gut passt es zu KIRCHE IN NOT! Als Hilfswerk dürfen wir uns mit aller Kraft den Werken der Barmherzigkeit – Barmherziger Jesus – widmen. Und die Sache mit dem Vertrauen, es ist die Grundnahrung unseres Gründers, ist schlichtweg unser Charisma.
Voll Freude und Motivation trat ich nun die Heimreise an. Wirklich, wir haben eine große Aufgabe innerhalb der Weltkirche. Wir gehen den richtigen Weg. Allen unseren Freunden und Wohltätern konnte ich nun diese Botschaft, zusammen mit dem Dank der großen Weltkirche, überbringen.
90 Jahre
Ein großes Fest stand an. Im Limburger Dom feierten zahlreiche Freunde, Wohltäter und sonstige Gäste zu Beginn des Jahre 2003 den 90. Geburtstag unseres lieben Gründers. Es war ein großer Dankgottesdienst. Im Lied beschworen wir alle noch einmal den lieben Gott mit dem irischen Segenslied „Mögen die Straßen ...“, dass selbst, wenn Pater Werenfried einmal stirbt, der Teufel erst 40 Jahre später davon erfahren sollte. Es war sein Lieblingslied. Zum Ende des Gottesdienstes lies es sich Pater Werenfried nicht nehmen und kollektierte im Rollstuhl sitzend noch einmal mit seinem berühmten Millionenhut. Es sollte seine letzte Kollekte in dieser Welt sein.
Als deutscher Geschäftsführer hatte ich die schöne Aufgabe, während der Kollekte in der Nähe von Pater Werenfried zu stehen. Immer wieder durfte ich den vollen Hut in eine größere Tasche umfüllen. Gleichzeitig erlebte ich so die zahlreichen liebevollen Begegnungen mit. Danke Pater Werenfried!
Auch dieser Tag ging einmal zu Ende. Bepackt mit der gesamten Kollekte trat ich die Heimreise mit dem Zug an. Es war ein mulmiges Gefühl. Zu Hause angekommen durfte ich meinem schwer krebskranken Vater noch eine Freude bereiten: Wir zählten zusammen die letzte Kollekte des Millionenhutes, des von meinem Vater so sehr verehrten Pater Werenfried. Nochmals ein Geschenk.
90 Jahre und zwei Wochen
Nach einem gut überstandenen Geburtstagsfest verschlechterte sich die Gesundheit von Pater Werenfried überraschend schnell. Zwei Wochen nach seinem 90. Geburtstag wurden wir von seinem Tod überrascht. O Herr, schenke Pater Werenfried Freude und Seligkeit bei DIR!
Wieder führte uns der Weg in den Limburger Dom. Diesmal zum feierlichen Requiem. Zahlreiche Besucher, die erst vor kurzem mit ihm den 90. Geburtstag gefeiert hatten, begegneten sich wieder. Es war mir eine Ehre, zusammen mit meinen Kollegen aus den verschiedenen Ländern, den Sarg unseres so geliebten Pater Werenfried zu tragen. Ein letzter Liebesdienst.
Zu seinem Begräbnis im städtischen Friedhof in Königstein, brachten die Verantwortlichen aller Länder, in denen wir um Geld und Gebet sammelten, ein Päckchen Erde mit. Pater Werenfried gehörte nicht nur nach Deutschland oder Belgien, nein, er gehörte der gesamten Welt.
Da Pater Werenfried eine sehr feste Willenskraft hatte, wurde sie auch in der Regel erfüllt. Bei seinem Sterben musste deshalb ein Kardinal aus Rom eingreifen. Unser Gründer, der ursprünglich in der Prämonstratenserabtei Tongerlo in Belgien gelebt hatte, wünschte auch dort seine Beerdigung. Es sollte wohl auch eine Geste der Liebe sein, da er die meiste Zeit seines Lebens, eben nicht dort gelebt hatte. Er hatte dafür selbstverständlich aufgrund seines Dienstes für KIRCHE IN NOT eine Sondergenehmigung seines Ordensoberen. Nun war es so, dass er in Tongerlo wirklich nicht so sehr beheimatet war und im Gegenzug die Überzeugung bestand, dass Pater Werenfried auch im Tod in der Nähe seines Werkes bleiben sollte, das Testament aber etwas anderes befahl. Mit einer Sondergenehmigung unseres zuständigen Kardinals in Rom wurde also entschieden, dass die Beerdigung in Königstein erfolgen könne. Ich glaube, dass Pater Werenfried „von oben aus“ zufrieden war.
Sein Testament
Ähnlich, wie die Hinterbliebenen einer Familie, waren auch wir als „KIRCHE IN NOT-Kinder“ auf seine Worte im Testament gespannt. An zwei wichtige Aussagen kann ich mich noch erinnern.
Wie im Leben, so auch im Tod, empfahl er uns, den Willen des Heiligen Vaters in Rom immer im Auge zu behalten. Mehr noch, ein Wille des Papstes solle uns wie ein Befehl sein.
Die zweite wichtige Botschaft betraf die Geistlichen Richtlinien, die er für unser Hilfswerk vor Jahren als Leitlinien geschrieben hatte. Hier bat er alle Verantwortlichen, künftig bei allen Zusammenkünften, jeweils einen Abschnitt vorzulesen. Es war sein Versuch, uns auch in der Zukunft, möglichst regelmäßig, an das von Gott geschenkte Charisma zu erinnern. Er war immer überzeugt und hat es sogar in diesen Richtlinien festgehalten, dass es für den weiteren Bestand des Werkes sehr wichtig sei, in schöpferischer Treue an den Wurzeln festzuhalten.
Eine neue Zeit beginnt
Mit dem Tod einer Gründerfigur beginnt eine neue Zeit. Ich bin dankbar, Pater Werenfried noch so gut gekannt zu haben. Gleichzeitig sah ich es als Geschenk an, in der Zeit nach seinem Tod, den Weg mit KIRCHE IN NOT zu gehen. Wir waren Erben. Mehr noch, wir waren Erben eines großen Schatzes: eines weltweiten katholischen Liebeswerkes.
Es galt nun, eine Lücke, die nicht zu füllen war, wenigstens so gut wie möglich zu gestalten. Die Not in der Welt ist dieselbe geblieben, bzw. wurde immer größer. Die Strukturen der Hilfe waren
vorhanden. Letztlich hatte Pater Werenfried in der letzten Zeit auch nicht mehr wirklich die Kraft, selbst in größerem Umfang zu arbeiten. Doch wie werden sich die Freunde und Wohltäter unseres
Hilfswerkes, gerade in den alten, das heißt in den Ländern, in denen Pater Werenfried die große Bezugsperson der Wohltäter war, verhalten. Werden sie seinem Hilfswerk auch nach seinem Tod die Treue
halten? Unsere Sorge war unberechtigt. Wir durften alle eine großartige Treue unserer Freunde erleben.
Wie so oft, musste ich mich meines mangelnden Vertrauens anklagen.
Die Arbeit unseres Hilfswerkes ging also gut weiter. Die Spenden verzeichneten sogar einen Zuwachs. Unsere romtreue Richtung wurde nie angezweifelt. Trotzdem verspürten wir in den Jahren nach dem Tod unseres Gründers auch so manchen inneren Kampf. Es galt, und darum waren wir bemüht, das Erbe Pater Werenfrieds in schöpferischer Treue in die Zukunft zu führen. KIRCHE IN NOT durfte nicht auf dem Stand des Todestages stehen bleiben. War es doch Pater Werenfried, der wie kein Zweiter die immer wieder neuen Nöte von Kirche und Gesellschaft in den verschiedenen Teilen der Welt frühzeitig erkannte, benannte und darauf ein Hilfsangebot machte. Es war Pater Werenfried, der den guten Geist in zahlreichen neuen geistlichen Gemeinschaften und deren Wichtigkeit für die heutige Zeit erkannte. Mehr noch, er half mit finanziellen Mitteln dort, wo die offiziellen kirchlichen Stellen keine Unterstützung geben konnten. Nein, unser Hilfswerk darf nicht stehen bleiben oder sich gar zu einem verbeamteten Hilfsapparat entwickeln. Wir sind nicht aufgrund von zahlreichen runden Tischen entstanden, sondern durch einen geistlichen Impuls. Diese Besonderheit gilt es heute und in alle Zukunft zu verteidigen. Unsere Offenheit für das Wirken des Heiligen Geistes ist der alles entscheidende Akt, um auch in Zukunft unsere Aufgabe gut erfüllen zu können. Deshalb ist das Gebet der Freunde, Wohltäter, Mitarbeiter und auch vor allem unsrer Projektpartner für uns so existenziell. Möge Pater Werenfried uns immer ein Fürsprecher bei Gott sein.
Da kommt etwas auf Sie zu …
Eine der ersten Aktionen von Pater Werenfried waren seine Fahrzeuge für Gott im Jahre 1949. Es war eine überaus erfolgreiche Geschichte. Sie begann mit Motorrädern, wurde mit VW-Käfern erweitert und gelangte schließlich zu den großen Sattelschleppern, die zu fahrenden Kapellen umgebaut wurden, den legendären Kapellenwagen. All diese Fahrzeuge waren für das nach dem Krieg zerstörte Deutschland bestimmt. Ganz gezielt konnte damit den aus den Ostgebieten vertriebenen Deutschen geholfen werden. Weltweit wurden die Fahrzeuge für Gott bis auf den heutigen Tag ein großer Auftrag für unser Werk. Allerdings nicht mehr für Deutschland. Also überlegten wir, welches Fahrzeug unser Heimatland heute benötigen könnte. Wir wollten mit einem passenden Fahrzeug an die erste große Aktion vor genau 55 Jahren hinweisen. Da kam uns die Idee: Ein Beichtmobil!
Es sollte ein kleines gebrauchtes Wohnmobil sein, in dem man in guter Atmosphäre beichten oder auch einfach ein Gespräch mit einem Priester führen konnte. Nebenbei benötigten wir ein solches Auto auch als Transporter für unsere Infostände und ähnliches. Ich machte mich auf die Suche und wurde unmittelbar fündig. Wir kauften einen acht Jahre alten VW-Bus mit Campingausstattung. Unser Grafiker schenkte dem Auto sein Beichtmobil-Gesicht und fertig war die Idee.
Doch wie wird es wohl ankommen? Werden wir unser Ziel, innerhalb Deutschlands verstärkt auf die Beichte hinzuweisen, erreichen? Wird in dem Auto wirklich gebeichtet werden? Wird es nur lächerlich gemacht? Was sagt die Kirche in Deutschland dazu? Da kam uns eine Idee:
Ich kaufte mir ein zweites kleines Wohnmobil und beklebte es mit dem Schriftzug unseres Beichtmobils. Diesmal allerdings ein kleines Spielzeugauto. Ich bat bei Bischof Dr. Walter Mixa um einen Gesprächstermin, den ich wie immer kurzfristig bekam und ließ das kleine Beichtmobil mit den Worten „Da kommt etwas auf Sie zu …“ auf ihn zurollen. Ich machte ihm zwei Angebote. Er könne das Beichtmobil in seiner Diözese eigenverantwortlich nützen oder aber er übernimmt die Schirmherrschaft über das Fahrzeug. Bischof Mixa entschied sich für die zweite Lösung. Gleichzeitig berichteten wir auch Papst Johannes Paul II. von unserem Vorhaben und baten um seinen Segen. Auch unser Papst „spielte“ mit. Von nun an ruhte der besondere Segen von Papst Johannes Paul II. auf allen Priestern und auf allen Beichtenden in diesem Wagen. Zugleich übergaben wir das Beichtmobil der Maria Knotenlöserin, wie sie in Augsburg in St. Peter und Paul, neben dem Augsburger Rathaus verehrt wird. Die Mutter Gottes sollte mithelfen, dass in und durch das Beichtmobil, möglichst viele Knoten der Sünde, der Krankheit und der Sorge gelöst werden können. Auch sollte sie das Beichtmobil vor Missbrauch schützen. Und sie tat es.
Das Beichtmobil wurde im Jahr 2004 in die Verantwortlichkeit unseres nationalen geistlichen Assistenten, Pater Hermann Josef Hubka, übergeben. Im Jahre 2013 wurde das Beichtmobil aufgrund seines Alters durch ein neueres Fahrzeug ersetzt. Viele Beichtende konnten ihre Last hier abwerfen. Über all die Jahre begleitete das Beichtmobil Wallfahrten und wurde von Priestern ausgeliehen. Es kam bei Katholikentagen, Jugendtreffen und auch beim Weltjugendtag in Köln zum Einsatz. Pater Hermann Josef Hubka war damit immer wieder deutschlandweit im Einsatz. Quer durch alle Medien wurde das Beichtmobil bekannt gemacht. Ohne Kosten wurden wir in den meisten deutschen Fernsehsendern vorgestellt. Radiosendungen besprachen das Beichtmobil. Am breitesten wurde darüber aber in den Zeitungen und Zeitschriften berichtet. Die Zeitschrift Autobild gestaltete eine eigene Doppelseite damit. Immer wurde es mit dem nötigen Ernst angegangen. Die Knotenlöserin hatte sicherlich einige Arbeit damit.
In einem Buch mit dem Titel „Different Thinking!“, das sich mit „coolen Produktideen und überraschenden Leistungsangeboten“ an junge Unternehmer wendet, fand ich folgende Kurzbeschreibung: „Die Kunden kommen kaum noch in die Kirche – und schon gar nicht zur Beichte. Damit das wieder anders wird, hat sich das katholische Hilfswerk KIRCHE IN NOT zu einer ungewöhnlichen Maßnahme entschlossen. Unter dem Motto ‚Beichten leicht gemacht‘ schickt sie das ‚Beichtmobil‘ auf den Weg, einen umgebauten VW-Campingbus, mit dem Priester auf ‚Beicht-Tournee‘ gehen. Das ‚Beichtmobil‘ … steht Pfarreien und geistlichen Gemeinschaften kostenlos zur Verfügung. Es soll bei Großveranstaltungen wie dem Weltjugendtag, aber auch ohne besonderen Anlass, auf öffentlichen Plätzen den Menschen Gelegenheit geben, mit einem Priester zu sprechen, seelsorglichen Rat einzuholen und, wenn gewünscht, zu beichten. – Drive-In-Absolution per Beichtmobil.“
Eine kleine Information am Rande. Papst Franziskus soll bei seinem Besuch in Augsburg in den 80er Jahren genau dieses Bild der Knotenlöserin lieb gewonnen haben. Er nahm wohl eine Postkarte dieses Bildes mit nach Argentinien. Dort wurde eine Kopie gemacht und es entstand eine große Wallfahrt, zu der monatlich tausende Gläubige pilgern.
Projektreise Bosnien/Herzegowina
Nicht jede weltweite Not und Bedrängnis muss man mit eigenen Augen gesehen und mit den eigenen Händen berührt haben. Es ist nicht im Sinne der Sparsamkeit, viel Geld für Reisen und Flüge auszugeben.
Durch eine gute und vernünftige Informationsweitergabe von den Projektabteilungen zu den Mitarbeitern in der Öffentlichkeitsarbeit kann hier innerhalb eines Hilfswerkes einiges ausgeglichen werden.
Trotzdem ist es von Zeit zu Zeit unabdingbar die Not der Menschen direkt zu fühlen und zu erleben. Eine Notsituation, die man mit allen Sinnen erlebt und ein kleines Stücken durchlebt, setzt eine
sehr große Menge an Motivation frei. Eigene Tränen beim Blick in traurige Gesichter bleiben in Erinnerung. Ebenso auch freudige und dankbare Menschen inmitten einer in unseren Augen trostlosen
Situation. Ich möchte ihnen nun stichpunktartig einige kleine Einblicke über meine Projektreise nach Bosnien/Herzegowina geben.
Am 17. Juni 2005 war es so weit. Zusammen mit zwei Mitarbeiterinnen aus der Projektabteilung bestieg ich den Flieger in Richtung Sarajewo. Frisch nach einer Erkältung und noch mit etwas Halsschmerzen, verabschiedete ich mich von meiner Familie. Den Kopf gefüllt mit zahlreichen Vorabinformationen, freute ich mich auf das fremde Land. Bereits der erste Eindruck war für mich vollkommen neu. Auch rund 10 Jahre nach dem Krieg, begleiteten uns die Einschusslöcher an den Häusern entlang der Straße. Andererseits düsten wir in flottem Tempo ohne Bedenken bei Rot über die Verkehrsampeln. Das Straßenbild war von alten Straßenbahnen geprägt. Die erste von zahlreichen neuen Moscheen begrüßte uns. Meine Vorfreude galt an erster Stelle den umfangreichen persönlichen Begegnungen.
Täglich folgten zahlreiche Gespräche mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, aber auch mit vielen Gläubigen in ihrer Alltagssituation. Meine zwei Begleiterinnen aus der Projektabteilung begutachteten zahlreiche kirchliche Gebäude, Priesterseminare, Klöster und so manches soziale Projekt. Immer hatten sie Block und Stift zur Hand. Neben den schon unterstützen Projekten interessierten sie sich für die aktuellen Nöte der Menschen. Während ich so nach und nach den Überblick verlor, hatte ich bei ihnen das Gefühl des vollkommenen Überblicks. Sie sprachen wie selbstverständlich in verschiedenen Sprachen und fühlten mit ehrlichem Herzen mit. Wir besuchten Menschen, die durch den Krieg alles verloren hatten und in einfachsten (Roh-)Bauten wohnten. Manche Dörfer hatten keinen Strom. In einer Diözese erfuhren wir, dass 95 % aller Kirchen im Krieg zerstört wurden. An zahlreichen Baustellen konnten wir uns vom Fleiß der Menschen überzeugen, die oft ohne Bezahlung an ihrer Kirche bauten. Ich spürte jeweils eine tiefe Freude, dass KIRCHE IN NOT wenigstens die Steine für den Bau finanziert hatte. Doch nicht nur wir waren die Gebenden. Immer wieder hörten wir von regelmäßigen heiligen Messen, die für die Wohltäter gefeiert werden.
Ein kleines Kloster blieb mir besonders im Gedächtnis. Seit vielen Jahren mussten sie aufgrund der baulichen Situation auf ihre Klausur verzichten. Sie flehten uns geradezu an: „Bitte helfen sie uns, dass wir in die Klausur gehen dürfen.“ Es fehlte nur noch eine Kleinigkeit. Sie versprachen uns, es mit Gebet zurückzubezahlen.
In einer anderen Gegend baten uns Schwestern, die frisch in ein von einem deutschen Architekten ehrenamtlich begleiteten Bau eingezogen waren, um ein elektrisches Gartentor. Die etwas weltabgewandten Schwestern wurden von uns überzeugt, dass dies trotz deutschem Architektenplan, keine Notwendigkeit war. Ich berichtete ihnen von unseren Wohltätern, die sich das Geld oft von einer kleinen Rente absparen. Sie schämten sich und waren betroffen. Ja, auch solche Gespräche gehören dazu.
An einem anderen Tag besuchten wir eine große Stadt. Wir warteten auf unseren Fahrer, einen Priester, der sein Priesterhemd in Zivilkleidung tauschte, um in einem von extremistischen Muslimen bewohnten Stadtgebiet nicht bespuckt zu werden. Genau in diesem Stadtgebiet wohnten noch vor Jahren Christen und Muslime in Frieden nebeneinander. Zur Zeit unseres Besuches war dies völlig unmöglich. Lediglich eine alte katholische Oma wohnte noch in ihrer Mitte. Für sie war ein Umzug nicht mehr möglich. Unser Fahrer besuchte das alte Mütterchen in regelmäßigen Abständen. Sicherlich gab es mehrere Gründe für die teilweise Radikalisierung der Muslime. Ein entscheidender Grund war, dass mit dem Geld für den Aufbau der Moscheen auch strenge Prediger ins Land kamen, die einen „neuen“ Islam brachten. Auch Gegenden, wo keine Muslime wohnten, wurden mit einem Netz von Moscheen überzogen. Es sollte kein Gebiet mehr geben, an dem der muslimische Gebetsruf nicht zu hören war.
Während also die Moscheen mit großzügigen Spendengeldern aus dem Ausland innerhalb kürzester Zeit standen, waren die Christen im Großen und Ganzen auf sich selbst gestellt. Insbesondere die Unterstützung des Kirchenbaus durch ausländische katholische Hilfswerke war nur sehr Zaghaft und lediglich ein kleiner Tropfen. Dieses Geld verwendete die Kirche vor Ort in vielen Fällen zu Behebung der größten materiellen Not. In mir kroch die Frage hoch, wie es um unser Verständnis und unsere Wertschätzung zum Haus Gottes bestellt ist. Während sich hier die Menschen nach der Kirche als Mittelpunkt des christlichen Lebens sehnten, grüßen in unseren Landen die Menschen den Hausherrn einer Kirche, der immerhin Jesus Christus heißt, beim Vorbeigehen oft nicht mal mit einem kleinen Stoßgebet.
Immer wieder staunte ich über den Mut und die Kraft der Christen. Immer wieder gab es neue großartige Zeugnisse zu hören und zu sehen. Voll Spannung lauschten wir den Worten eines Bischofs, der uns erklärte, wie wichtig seine kleine Krankenstation nicht nur für die Bewohner sei, da auch keiner seiner Priester eine Krankenversicherung habe. Derselbe Bischof fuhr uns in einem absoluten Kleinwagen, den er vor Jahren von unserem Hilfswerk erbeten hatte, durch seine Diözese. Es ist eine wirkliche Kirche Christi, der wir hier begegneten: gläubig, arm, opferbereit und trotzdem oder gerade deshalb voll Hoffnung. Doch es galt für die Priester auch viel Versöhnungsarbeit zu leisten. Das Misstrauen zwischen Christen und Muslimen war und ist wohl immer noch sehr groß. In den Krankenstationen wurde allen Menschen, unabhängig von der Religionszugehörigkeit geholfen. Doch auch innerhalb der christlichen Konfessionen gab es Spannungen. Orthodoxe und katholische Christen bemühten sich um gegenseitiges Verständnis. Zur damaligen Zeit kein einfacher Weg. Verschiedene Völkergruppen waren noch tief gespalten. Die unterschiedlichsten Spuren des Krieges waren allgegenwärtig. Wir bekamen Hinweise auf Massengräber und besuchten eine Kirche, deren Tabernakel noch Schussverletzungen hatte. Zahlreiche Menschen waren durch die schrecklichen Erlebnisse traumatisiert. Viele ehemals geflüchtete oder vertriebene Bewohner von Dörfern waren immer noch nicht zurückgekehrt. Die Zerstörungen und die Erinnerungen lagen wohl als zu schwere Bürde auf ihren Schultern.
Eine kleine – im Nachhinein – lustige Begebenheit. Unterwegs im Namen des Herrn und mit einem Bischof am Steuer brausten wir in der Dunkelheit über eine gut ausgebaute und kerzengerade Straße. Ohne Vorwarnung, im vollen Tempo und ohne das Wissen unseres Fahrers wechselte der Fahrbahnbelag von Teer auf Schotter. Es gab einen dumpfen Schlag, einige Angstschreie im vollbesetzten Kleinwagen und den krampfhaften Versuch, sich irgendwie festzuhalten. Gott sei Dank ging alles gut. Meine Begleiterinnen erzählten mir später, dass der Bischof als schneller Fahrer bekannt sei und eine Mitarbeiterin unseres Hilfswerkes bei einem früheren Besuch sogar in ihrer Not den Handgriff aus der Verankerung gerissen hatte …
Ein kleines Fazit dieser Reise: Die Christen von Bosnien/Herzegowina waren sehr dankbar, nicht vergessen worden zu sein. Die Unterstützungen durch unser Hilfswerk haben die Herzen der Menschen erreicht. Mein Blick wurde von Tag zu Tag einerseits betroffener und andererseits dankbarer. In aller Schwierigkeit blieb den Menschen der Glaube erhalten. Sie wurden für mich zum Vorbild. Wie sagte mir ein Priester eindringlich: „Wir müssen als erstes richtige Christen sein!“ Ein Auftrag, der jedem von uns gilt.
Danke, Pater Werenfried!
Ein Kämpfer, wie Pater Werenfried, wird, davon bin ich überzeugt, auch nach seinem irdischen Tod weiterhin aktiv bleiben. Ein kleines Beispiel dazu: Eine junge Frau hatte vor einiger Zeit in einer Kirche den Rundbrief „Echo der Liebe“ entdeckt. Sie fühlte sich sofort angesprochen und gewann den bereits verstorbenen Pater Werenfried lieb. Als sie eine größere Sorge plagte, wandte sie sich an ihn und versprach ihm eine Geldspende. Wie zu Lebzeiten ließ sich unser Gründer eine Geldspende nicht so leicht entgehen. Sogleich wurde ihre Bitte erhört und sie erfüllte ihr Versprechen. In einem Telefongespräch bedankte ich mich bei ihr und wir kamen ins Gespräch. Die junge Frau informierte sich über eine ehrenamtliche Mitarbeit. Sie erzählte mir von ihrem Studium und ich sagte etwas unbedacht zu einer Person, die ich ja gar nicht kannte, dass wir einen ganzen Stapel Zeitzeugenberichte haben und auf längere Sicht kein Chance sehen, damit etwas zu machen. Ich bat sie, für uns ein Buch aus diesen Unterlagen zu schreiben. Und nach kurzer Überlegung sagte sie uns zu. Einen Tag später kam der Rückzieher. Sie meinte, dass es eine unüberlegte Zusage war und sie keinerlei Erfahrung mit dem Schreiben eines Buches habe. Nun war ich mutig und versprach ihr die Hilfe Pater Werenfrieds. In Zusammenarbeit mit dem deutschen Büro in München und mit der internationalen Zentrale in Königstein entstand so das Buch „Danke, Pater Werenfried!“ Es wurde ein Klassiker, der immer wieder frisch aufgelegt wird. Ein absolut lesenswertes Buch in Form eines langen Briefes. Die Frau arbeitet inzwischen seit vielen Jahren bei unserem Hilfswerk. Danke Eva-Maria an dieser Stelle!
Begegnung als Geschenk
Wer Pater Werenfried einmal begegnete, konnte diese Begegnung meist ein Leben lang nicht mehr vergessen. Dies ist wohl die Besonderheit eines Gründers.
Die Begegnung bei Kongressen, Veranstaltungen, Begegnungstagen und auch bei unseren Reisen nach Rom und auf den Spuren von Papst Johannes Paul II. nach Polen wurden für uns immer mehr zum Geschenk. Wenn wir auch nicht das Charisma eines Pater Werenfried hatten, so ergaben sich doch gute Gespräche. Es konnten Missverständnisse ausgeräumt werden. Es wurde gemeinsam gebetet und die heilige Messe gefeiert. Die Besonderheiten unseres Werkes wurden den Menschen bewusst. Es entstanden Freundschaften. Danke für unzählige Gespräche, Gebetszusagen und Unterstützungen. Vergelt´s Gott!
Treffpunkt Weltkirche
Leicht nimmt uns der Alltagstrott in seine Fänge. Er lässt uns für so manche Wirklichkeit, der wir nicht täglich begegnen, blind werden. So benötigen wir immer wieder besondere Momente der Aufmunterung. Dies betrifft unseren persönlichen Glauben, unseren Blick auf die zum Teil sehr schwierigen Situationen innerhalb der Weltkirche und auch unsere Aufmerksamkeit für die Schönheit der Schöpfung.
Mit unseren Kongressen „Treffpunkt Weltkirche“ wollten wir unseren Freunden, Wohltätern und allen Interessierten ein Geschenk machen. In der Tradition der legendären Königsteiner Kirche in Not-Kongresse, die es in dieser Form nicht mehr gab, war es unser Ziel, eines der bekanntesten Zitate von Pater Werenfried, erlebbar zu machen: "Unser Werk ist ein Treffpunkt der Weltkirche, wo sich Gottes Kinder aus allen Ländern der Erde in übernatürlicher Liebe begegnen und sich gegenseitig bereichern."
In den zahlreichen Podien und Vorträgen konnte Weltkirche wirklich erlebt werden. Es ging oft um die Schwierigkeiten und die Nöte in den verschiedensten Teilen der Welt. Noch viel mehr erlebten die Besucher aber die Schätze der Weltkirche. Glaubenszeugnisse, mit frohem Herzen vorgetragen, schenkten den Menschen neuen Mut. In den gemeinsamen Gebeten und Gottesdiensten erfuhren die Gäste Stärkung im Glauben. Beichtangebote und die Möglichkeit zur Anbetung rundeten das Angebot ab. Mich faszinierte die Bereitschaft zahlreicher Künstler, ihre Glaubensüberzeugung durch Text, Musik und Bild zu bekennen. Mein Kollege Michael Ragg hatte es in den Jahren 2004, 2006 und 2008 immer wieder geschafft, einen wunderbaren Blumenstrauß mit Elementen der Weltkirche, der Glaubensfreude und der religiösen Kunst auf die Bühne zu bringen.
Diese Kongresse bescherten uns eine Menge an Presseartikel. Alle Veranstaltungen wurden in mehreren christlichen Fernsehsendern oft mit zahlreichen Wiederholungen gezeigt. Ebenso geschah es im Radio. Teilweise wurden über Radio und Fernsehen Teile der Kongresse live übertragen. Eine große Menge an Medienvertretern nutzte die Chance und führte in eigens dafür vorgesehenen Räumen mit Gästen aus den verschiedenen Ländern Gespräche. In einem provisorisch eingerichteten kleinen Fernsehstudio wurden nebenher zahlreiche Aufnahmen in englischer Sprache aufgezeichnet. Jeder Kongress war in meinen Augen, eine von Gott gesegnete Zeit. Das gesamte Team unseres Büros, unterstützt von Helfern aus der Zentrale in Königstein und einem Heer von ehrenamtlichen Helfern machte diese Herausforderung erst möglich. Unsere Zusammenarbeit mit neuen geistlichen Gemeinschaften und der Diözese Augsburg, in deren Gebiet die Kongresse stattfanden, waren sehr gut. Sicherlich haben wir viel zu wenig Danke und Vergelt´s Gott gesagt. Ich möchte es hiermit nachholen.
Im Jahr 2004 nützten wir die öffentliche Aufmerksamkeit für den Start unseres Beichtmobils. Um an die große Tradition der Fahrzeuge für Gott in unserem Hilfswerk zu erinnern, retteten wir den wohl letzten überlebenden großen Kapellenwagen aus Belgien vor dem Verschrotten. Zusammen mit einem befreundeten LKW-Meister und Liebhaber von Oldtimern begutachteten wir das Fahrzeug zuvor in Belgien. Es war zwar nicht mehr fahrbereit, aber wir konnten nicht zulassen, dass es verschrottet würde, und überführten es nach Deutschland. Eine mit KIRCHE IN NOT eng befreundete Familie gab dem großen Sattelschlepper kostenlos Asyl. So war es möglich beim Kongress 2004 mit dem alten Kapellenwagen für das zukünftige Beichtmobil zu werben.
Den Kongress im Jahr 2006 konnte ich nur für rund eine Stunde besuchen. Ich erkrankte im Vorfeld an einer schweren Bronchitis. Dank der zahlreichen Lifeübertragungen auf Radio Horeb wurde er zu dem Kongress, von dem ich am meisten miterleben durfte. Trotz meiner Abwesenheit blieb mir dieser Kongress in starker Erinnerung. Er trug den Titel „Steht auf, habt keine Angst“. Als ich mit Genehmigung meines Arztes für eine Stunde den Kongress besuchen durfte, entdeckte ich ein Bild mit einer großen Hand. Obwohl ich mich noch nie zuvor für Gemälde oder ähnliche Kunstwerke interessierte, konnte ich mich von diesem Bild nicht trennen. Als ich den Künstler danach fragte, erklärte er mir, dass genau dieses Bild extra zum Titel des Kongresses gemalt wurde. Ich kaufte das Bild. Noch nie zuvor hatte ich ein Gemälde gekauft. Es war geradezu unsinnig, einen relativ hohen Geldbetrag und dazu noch ohne meine Frau zu fragen, für ein Bild auszugeben. Es sollte wohl so sein. Ich liebe das Bild immer noch sehr. Heute hängt es über unserem Bett. Mit dem Titel „Steht auf, habt keine Angst“ hilft es uns nicht nur beim morgendlichen Aufstehen, sondern schenkt uns mit seiner entgegengestreckten Hand – der Hand Gottes – Vertrauen und Mut. Das Bild verwendete ich auch als Titelbild für mein Minibüchlein „Dem Leben Raum geben“.
Den Kongress im Jahr 2008 nützten wir, um für das Angelusgebet zu werben. Mittags um 12.00 Uhr konnten wir dank moderner Technik das Angelusgebet aus Rom in unsere Kongressräume „holen“. Zigtausende kleine Faltblätter mit dem Angelusgebet und ein Büchlein, das durch das Ehepaar Obereder für unser Hilfswerk geschrieben wurde, starteten ihren Weg zu den Betern. Es war der Aufruf um ein christliches Europa zu beten.
Sollen wir "stiften" gehen?
Schon bald nach dem Tod unseres Gründers kamen die ersten Anfragen nach einer Stiftung. Grundsätzlich ist eine Stiftung mit dem Ansammeln von Vermögen verbunden. Dies wiederum, so meine Überzeugung, konnte nicht im Willen von Pater Werenfried sein, der sich völlig auf die Vorsehung Gottes verlassen hat und jedes Jahr wirklich bei Null von vorne begann. Ich weigerte mich also standhaft. Doch Stiftungen wurden von staatlicher Seite steuerlich immer besser gestellt. Sogar Spenden in eine Stiftung wurden steuerlich besser gestellt als Spenden in z.B. einen Hilfsverein. Inzwischen drängte mich auch mein nationaler Vorstand zur Gründung. In meiner inneren Zerrissenheit bat ich Gott um ein Zeichen. Ich erklärte meine Bereitschaft, eine Stiftung zu gründen, wenn jemand mit einem großen Betrag auf mich zukommt und mir die Zuwendung verweigert, sollte ich keine Stiftung gründen. Natürlich kam innerhalb kürzester Zeit ein Priester, der uns aufgrund einer persönlichen Situation einen größeren Betrag geben wollte, dies aber aus bestimmten Gründen nur tun konnte, wenn das Geld in eine Stiftung kommt. Wir gründeten zusammen eine Stiftung!
Die Stiftung wurde von uns nicht übermäßig groß beworben. Auch gab ich bei jeder angebotenen Zustiftung den Hinweis, dass es im Sinne von Pater Werenfried sicherlich auch gut sei, das Geld als Spende und nicht als Zustiftung einzuzahlen. So bekamen wir zwar wenig Zustiftungen, aber doch einige gute Spenden durch diese Neugründung.
Grüß Gott lieber Papst Benedikt
Im Jahr 2007 feierte unser Hilfswerk sein 60 jähriges Bestehen. Da KIRCHE IN NOT immer in der Nähe und sogar in der Freundschaft zu den Päpsten stand, planten wir ein kleines Heft mit täglichen Zitaten von Papst Benedikt XVI. und unserem Gründer, Pater Werenfried. Wir wussten, dass Papst Benedikt XVI. die Aufgaben unseres Werkes liebte und unterstützte. Noch als Kardinal schrieb er uns den so tiefsinnigen Satz: „KIRCHE IN NOT hilft dem Glaubenden in Not, hilft der Not des Glaubens und tut damit das, was für unsere Welt am allermeisten nötig ist.“ Mit dem frisch gedruckten geistlichen Jahresbegleiter in der Hand, machte ich mich zusammen mit meiner Vorstandsvorsitzenden, Frau Antonia Willemsen, und Eintrittskarten für die Mittwochsaudienz, auf den Weg nach Rom. Am 15. November 2006 durfte ich diesen kleinen Jahresbegleiter persönlich an den Heiligen Vater, Papst Benedikt XVI., übergeben. Für mich war dies ein übergroßes Geschenk. Ich durfte seine liebende und demütige Art spüren. Er reichte uns seine Hand und gab uns Segenswünsche an alle Freunde und Wohltäter des Werkes mit auf den Weg. Natürlich ist auch ein Papst nur ein Mensch. Wir Katholiken sind jedoch überzeugt, dass er gleichzeitig der Stellvertreter Gottes auf unserer Erde ist. Die Begegnung mit Papst Benedikt XVI. genoss ich mit ganzem Herzen. Es war für mich, als ob ich dem heiligen Apostel Petrus die Hand geschüttelt hätte.
Projektreise Peru
Im Rückblick erkannte ich die Reise im Jahr 2008 nach Peru als ein Abschiedsgeschenk von KIRCHE IN NOT an mich. Noch einmal, wenige Monate bevor ich meine Aufgabe als Geschäftsführer aufgrund
meiner gesundheitlichen Situation zurückgab, durfte ich in aller Intensität in die Schönheit und Dramaturgie der Weltkirche eintauchen. Ich spürte eine tiefe Dankbarkeit, die bis heute unvermindert
anhält. Nochmals wurden mir die Notwendigkeit und die große Fruchtbarkeit unseres Hilfswerkes und damit einer jeden noch so kleinen oder großen Spende zutiefst bewusst. Zum wiederholten Male lernte
ich die katholische Kirche neu kennen und lieben. Ich war gezwungen, in von bitterster Not geprägten Augen und Gesichter zu blicken. Gleichzeitig wurde die Kraft, die das Evangelium in sich trägt,
vor mir lebendig. Erneut belehrte mich das Erlebte nicht vorschnell über andere zu urteilen. Darüber hinaus erlebte ich eine wunderbare Natur, ja, ein großes Stück vom Paradies. Wir erlebten
Heiligkeit und Schwachheit, Traurigkeit und Mut, Armut und Reichtum, Glauben und Versuchung. Mit den folgenden Erlebnissen, möchte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser an der Projektreise nach Peru
teilhaben lassen. Es ist nur eine kleine Auswahl aus einem großen Potpourri möglich:
Pater Werenfried forderte unser Hilfswerk immer wieder auf, eine Schule der Liebe zu sein. Wie leicht ging mir dieses Wort bei Veranstaltungen über die Lippen und ich meinte meinem Auftrag Genüge zu
tun. Ich war wie ein Lehrer, der selbst noch keinen Abschluss in der zu lehrenden Disziplin erworben hatte. In einem Elendsviertel nahe der peruanischen Hauptstadt Lima, das zur Diözese Lurin gehört,
sollte ich professionellen Unterricht bekommen. Während unser kleines deutschsprachiges Reiseteam, das heißt der jeweilige Leiter unseres Hilfswerkes von Österreich, Schweiz und Polen, der für Peru
zuständige Projektleiter von KIRCHE IN NOT, sowie meine Person zusammen mit dem örtlichen Bischof eine zwar schon lange benützte, aber noch immer im Rohbau befindliche Kirche besuchten, warteten
zahlreiche Gläubige der Pfarrei auf uns. Sie begrüßten uns mit Liedern und mit Augen voller Hoffnung. Wir wurden alle einzeln vorgestellt. Es durfte natürlich nicht fehlen, dass ich als Vater von
fünf Kindern beschrieben wurde. Da geschah es, ohne Vorwarnung kam ein kleiner Junge mit cirka sechs Jahren auf mich zu und drückte mir, mit ein paar mir unverständlichen Worten und einer Träne im
Auge, eine kleine Spielfigur in die Hände. Es war mitten im Elendsviertel. Die Menschen lebten größtenteils nur in Hütten. Trinkwasser war ein teures Gut. Vermutlich war die Spielfigur eines der
wenigen oder einzigen Spielsachen dieses Kindes. Aber er teilte mit mir, mit meiner Familie! Sein Worte wurden mir übersetzt: „Es ist für deine Kinder!“ Welch große Liebe tragen dieser Junge und wohl
auch seine gesamte Familie in ihrem Herzen? Er war der Meister in der Schule der Liebe! Voll ausgebildet! Nun kamen mir die Tränen. Danke lieber Junge, danke für deine Unterrichtsstunde! Danke für
deine Liebe! Du bist mein Held!
Wenige Kilometer weiter besuchten wir die nächste Kirche, sie sollte in wenigen Tagen, am Fest „Maria, Hilfe der Christen“, das am 24. Mai gefeiert wird, eingeweiht werden. In der Kirche ohne Dach
und ohne Boden, aber mit einem provisorischen Altar, wurden wir herzlich mit dem Fatimalied begrüßt. Im Umkreis gab es von verschiedenen Sekten bereits sieben Kirchen. Allein die katholische Gemeinde
hatte noch kein Gotteshaus, in dem sie sich treffen konnten und in dem ein Platz für den Sohn Gottes im Tabernakel war. Der junge Priester vor Ort und der Vorsitzende des Kirchbaus, ein Mann, der
gezeichnet von dem Leben in dieser Gegend immer gestützt werden musste, zeigten uns ihre Pläne und konnten uns glaubhaft machen, dass mit wenig Mittel wenigstens das Dach und die notwendigsten Dinge
angeschafft werden konnten. Wir sagten dank der treuen Wohltäter unseres Werkes die Hilfe zu. Mir wurde bewusst, dass Jesus Christus wirklich mitten unter den Ärmsten der Armen leben möchte. Ihre
Liebe und die Liebe Christi sind wohl sehr ähnlich. Am Rande notiert: Trotz der vorherigen Warnung mussten wir die mit viel Liebe vorbereiteten kleinen Häppchen essen und auch etwas trinken. Der
Bischof meinte, bei so viel Liebe, dürfen wir keinen „Korb“ geben und empfahl uns lediglich eine besonders kritische Speise nicht zu essen. Als wir kurz danach an einem Straßengeschäft vorbeikamen,
das auch Schnäpse zur „Magendesinfektion“ anbot, versuchte ich den Bischof für einen kurzen Halt zu gewinnen. In seiner liebevollen Art drehte er sich kurz zu uns um und segnete uns und auch den
gesamten Mageninhalt. Keiner von uns wurde krank.
Auf allen Wegen durch diese arme Diözese Lurin wurde der Bischof immer aufs Herzlichste begrüßt. Jeder Schweinehirte und jedes Kind hatte ungehinderten Zugang zu ihm. Der Bischof war wirklich ein Diener seiner Diözese, ein wahrer Hirte. Er selbst lebte in einfachsten Verhältnissen und mit geringsten Mitteln. Eine große Hilfe für ihn und seine Priester sind die regelmäßigen Mess-Stipendien aus Europa. Oft wurde ich von Spendern gefragt, ob die heiligen Messen wirklich einzeln gefeiert werden und ob die Meinungen auch genannt werden. Es wird wirklich jede einzelne heilige Messe gefeiert. Der Bischof gab uns eine ganze Menge an Bestätigungen weiter. Wie vom Kirchenrecht genehmigt, wird zwar die wörtliche Intention nicht weitergegeben, aber jeder Priester feiert die heilige Messe in der vom Spender gewünschten Intention. Hier dürfen wir auf Gott vertrauen, dass er dies so annimmt, wie es die Kirche organisiert hat. Übrigens hat dieser Bischof auch ein Priesterseminar, das ebenfalls Dank der Spenden unserer Freunde unterstützt wird. Die Seminaristen kommen meist aus sehr armen Bevölkerungsschichten und benötigen unsere Hilfe. Einen Seminaristen, der aus der unmittelbaren Nachbarschaft abstammt, durften wir bei seinen Eltern besuchen. Im bewohnten Rohbau konnten wir zum Teil direkt zum über uns leuchtenden Mond blicken. In dieser Gegend, wo diese armen, meist aus dem zukunftslosen Hochland, voll Hoffnung angereisten Menschen leben, regnet es das gesamte Jahr über nicht wirklich. Auch die Sonne scheint nur an rund 30 Tagen im Jahr. Ansonsten ist es immer grau und neblig. Die meisten Menschen sterben aufgrund von Lungenkrankheiten mit etwas über 50 Jahren.
Unsere weitere Reise führte uns nach einem Flug in die Amazonasregion und einer mehrstündigen Fahrt auf der so genannten Urwaldautobahn in das Vikariat von Yurimaguas. Dieser Weg wird mir
zeitlebens in Erinnerung bleiben. In zwei Autos, die von zwei Brüdern gesteuert wurden, brausten wir wie in einem Wettrennen über die meist ungeteerten Wege, die zum Teil direkt in den Berg
eingehauen waren. Dies hatte zur Folge, dass links der Schotterpiste ein fester Felsen stand und auf der rechten Seite ein wunderbarer Ausblick in mir unendlich scheinende Tiefen bestand – teilweise
ohne jede Art von schützenden Leitplanken oder ähnlichem. Um ehrlich zu sein, war ich mir sehr unsicher, meinen am nächsten Tag fälligen 40. Geburtstag noch zu erleben. Im Auto sprachen wir so viel
wie kein Wort. Ich konnte außer Stoßgebeten entgegen meiner Planung kein einziges Gesätzchen des Rosenkranzes beten. Hier wurde mein noch sehr brüchiges Gottvertrauen mehr als offenbar. Die schnelle
Fahrt und die zahlreichen waghalsigen Überholmanöver mit dem Auto, das alle Scheiben wegen der drückenden Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit geöffnet haben musste, brachten uns jedoch glücklich ans
Ziel. Wir wurden mehr als belohnt. Uns begegneten ein gütiger Bischof und eine Kirche voller Menschen, die als Geste des Dankes zum Teil über Stunden zu dem gemeinsamen Gottesdienst mit uns
hergelaufen waren. Der Chef des christlichen „Urwaldradios“ erzählte uns von seiner Aufgabe und versprach, künftig mittags um zwölf, immer im Angelusgebet sich mit uns verbunden zu wissen. Die
kontemplativen Karmelschwestern bekamen vom Bischof eigens eine Genehmigung, uns in ihr Kloster einzuladen, das dringend einen Hochwasserschutz benötigte. Es war eine überaus freudige Begegnung, die
sogar in einer kleinen „Wasserschlacht“ endete. Wir begegneten zahlreichen jungen und auch älteren glücklichen und ich war überzeugt oft heiligen Schwestern. Allein hier wurden wir für unsere
waghalsige Tour mehr als belohnt: Jeder von uns bekam als Geschenk der Mutter Oberin, das Gebet einer Schwester. Ich weiß seit diesem Tag, dass im Urwald in Yurimaguas eine Schwester ein Leben lang
für mich betet. Vergelt´s Gott! Wie notwendig kann ich es brauchen! Am selben Tag trafen wir mit einer weiteren Schwester zusammen, die weit mehr als 10 Jahre alleine durch den Urwald ging, um die
Menschen zu lieben und ihnen die Freude von Gott zu bringen. Welch ein Dienst. Wir konnten nur staunen.
Wir besuchten auch hier das Priesterseminar und machten uns dann mit einem Schnellboot auf den Weg zu einer kleinen Gemeinde im Urwald. Mir kam es gleich etwas komisch vor, dass selbst die mutigen Urwaldschwestern sich vor dem Start bekreuzigten und ihre Schwimmwesten anlegten. Mit viel Glück oder besser gesagt aufgrund Gottes Fürsorge entgingen wir auf dem – mit nicht nur kleinen Fischen bewohnten – Amazonasnebenfluss einem größeren Unfall. Wir überfuhren nach einiger Reisezeit ungeplant in voller Fahrt einen größeren schwimmenden Baum. Ein Schlag und der Motor war aus. Gott sei Dank konnte er wieder gestartet werden. Unser Kapitän hatte den Außenbordmotor wohl im letzten Moment aus dem Wasser gerissen und so vor der Zerstörung bewahrt. Der Bischof, die begleitenden Schwestern und wir waren alle erleichtert. Kurz vor dem Zwischenfall stellte ich noch die etwas dumme Frage, warum die Boote – außer unserem Schnellboot – alle am Ufer entlang fuhren. Die Antwort war, dass man in der Mitte des Flusses bei einem Zwischenfall dem Fluss ausgeliefert sei. Ach so … Im Zielort angekommen, marschierten wir noch ein gutes Stück landeinwärts und wurden dann vom Katecheten und dem Bürgermeister des Ortes mit freundlichen Worten und frischen Kokosnüssen, sowie deren Milch begrüßt. Der Bürgermeister überreichte bei dieser Gelegenheit dem Bischof einen Brief mit der Bitte, doch an einem bestimmten Tage einen Priester für eine heilige Messe zu senden. Täglich treffen sich die Menschen zum Gebet in ihrer Kirche. Aber aufgrund des Priestermangels haben sie nur einige wenige heilige Messen im Jahr. Wieder sind es vor allem Schwestern und der Katechet vor Ort, die für und mit den Menschen leben. Wie sagte uns der Bischof bei Tisch: „Sollten sie einen müden und ausgebrannten Priester kennen, schicken sie ihn ein Jahr zu uns. Er wird schon wieder …“
Mit einem großen Sack frischem Obst kehrten wir am Nachmittag in das Haus des Bischofs zurück. Nebenbei bemerkten wir den Rost am sehr alten Geländewagen des Bischofs. Wir ahnten, dass neben dem Boot auch bald der Antrag um einen Zuschuss für ein Auto folgen würde. Der Bischof offenbarte uns so nach und nach seine Sorgen um die Menschen: sehr hohe Arbeitslosigkeit und eine sich ausbreitende Hoffnungslosigkeit. Gerade die Männer sind in einem solchen Zustand sehr gefährdet. Auch die Sekten werden aktiv. Trotz aller Sorgen und Nöte lebt die Freude weiter. Am Abend feierten wir – ohne dass ich etwas davon wusste – mit einer großen weiß-blauen Torte, also in den bayerischen Farben, meinen 40. Geburtstag. Der Chef vom „Urwaldradio“ spielte auf seiner Gitarre und sang. Mein Kollege aus Österreich wechselte mit ihm ab und spielte einen Wiener Walzer, den ich mit einer der eifrigen Schwestern auch tanzen durfte. Es gab ein feines Abendessen mit viel heimischem Gemüse und wunderbar schmeckenden Obstsorten. Ich war glücklich. Daneben öffnete ich ein kleines Geschenk meiner lieben Frau und meiner Kinder, das ich bis dahin mit mir trug. Danke für diesen Tag!
Nun war eine erholsame Nacht geplant und am nächsten Tag wollten wir aufgrund einer Sperrung der Urwaldautobahn mit einem kleinen Motorflieger wieder aus dem Urwaldgebiet zurückkehren. Doch am späteren Abend wurde uns erklärt, dass der Pilot Bedenken habe, da sein kleiner Flieger beim letzten Flug ein sehr komisches Geräusch von sich gegeben hatte. Die organisierende Schwester meinte, dass in einem solchen Fall dringend von einem Flug abzuraten sei. In den letzten Monaten seien bereits zwei der kleinen Flieger nicht heil angekommen. Ja, so ist es im Urwald! Es gab nun nur noch die eine Chance, zwei Autofahrer zu gewinnen, die uns noch in der Nacht, bevor die so genannte Urwaldautobahn gesperrt wurde, zurückbringen würden. Mein Gedanke war nur: Oh Gott, muss das sein? Doch es sei gesagt, nach einem kurzen unvermittelten Stopp – das Öl im Auto musste nachgefüllt werden – schlief ich vor Ermattung ein und erwachte erst wieder am Ende der Autobahn: mit Rückenschmerzen, aber gesund und wohl behalten. Gott und dem Fahrer sei Dank!
Nachdem wir das Meer, die Großstadt, ein wüstenähnliches Klima und die Schönheit des Urwaldes erlebt hatten, folgte nun der Aufstieg in das Hochland, zur Prälatur von Ayaviri. Es begann mit einem
Zwischenstopp im Priesterseminar in Arequipa auf rund 2.300 Metern, um uns an die Höhenluft zu gewöhnen. Vor dem Priesterseminar war ein großer Rosengarten. Ich hatte das Gefühl, dass er für mich und
meine liebe Frau geschaffen war: es war unser 14. Hochzeitstag. Wieder durfte ich ein kleines Geschenk meiner lieben Judith öffnen. Danke dafür! Den Rosengarten habe ich natürlich fotografiert.
Die nächsten Tage waren der Höhenluft gewidmet. Bereits am ersten Tag führte uns der Weg bis auf etwas mehr als 4.500 Meter Höhe. Als wir am Bischofshaus ankamen, wurden wir zu einer Pause
verpflichtet. Aus meinen Vorbereitungen wusste ich, dass wir sehr gefährdet waren, der Höhenkrankheit zu erliegen. Bereits nach 20 Minuten war die Pause beendet. Wir machten uns mit einem Mann
weniger, der Kollege aus Polen musste sich von uns verabschieden, zusammen mit dem Bischof auf den Weg. Es war eine völlig andere Welt als in den zurückliegenden Tagen. Peru ist wirklich ein
Paradies. Hier hat der liebe Gott alles auf einem kleinen Fleck ausprobiert. Es gilt weltweit als eines der Länder mit der größten Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen. Gewöhnungsbedürftig waren die
starken Temperaturschwankungen. Während das Thermometer am Tag angenehme 18 Grad maß, entdeckte ich am Morgen einen Wassereimer, der durch und durch gefroren war. Es hatte minus 18 Grad während der
Nacht. Wir erlebten die Würde der Bewohner, ihre schönen Trachten und gleichzeitig die sonnenverbrannten Gesichter der Kinder. Wieder begegneten wir betenden und sozial tätigen Ordensschwestern.
Beide sind laut dem Bischof nötig. Katholische Schulen schaffen die Basis für eine bessere Zukunft der jungen Generation. Ordensleute lernen den Menschen den rechten Umgang mit der Landwirtschaft.
Die Kirche ist wirklich an der Seite der Armen. Abends schüttet der Bischof uns sein Herz aus. Es ist ein großes Herz mit viel Liebe und Mut. Er hatte es nicht immer leicht. Die Menschen danken ihm
jetzt für seinen römisch katholischen Glauben. Die Zahl der Kirchenbesucher ist seit seinem Amtsantritt stetig gestiegen. Viele Menschen werden durch die Fülle der katholischen Lehre aus ihren
Ängsten, denen sie aufgrund ihrer Naturreligionen unterworfen waren, befreit. Der katholische Glaube und die Naturreligionen gleichzeitig gelebt, bringen keine wirkliche Befreiung. Das Evangelium ist
eine wirkliche frohe Botschaft!
Die Reise geht weiter. Immer, wenn wir das Gefühl hatten, angekommen zu sein, neue Menschen kennen gelernt und eine Menge an Projekten, sowie Informationen aufgenommen hatten, ging es weiter. Die
zwei Tage in der Höhenluft von Ayaviri hatte ich dank einer nicht weiter hinterfragten Tablette, die mir ein Mitarbeiter des Bischofs in den Mund geschoben hatte, gut überstanden.
Auf dem Weg nach La Paz in Bolivien besuchten wir ein weiteres Priesterseminar, hatten rund fünf Minuten Zeit, den so berühmten Titicaca See zu genießen und erlebten einen weiteren Bischof in
einem alten und einfachen Bischofshaus, der uns aufgrund der mangelnden Heizung in der Daunenjacke die Tür öffnete. Es war ein ungeplanter Besuch und wurde eines der tiefsten Gespräche unserer
gesamten Reise. Wir versprachen ihm die Druckkosten für eine kleine Zusammenfassung des katholischen Glaubens. Die erste Auflage ging wohl zu neige.
Nun war es höchste Zeit für den etwas schwierigen Grenzübertritt. Ich möchte darüber nicht zu viel schreiben. Nur einige Stichpunkt: Geschlossener Zoll, Trennung von unserem Fahrer, Abgabe unseres
gesamten Gepäckes an einen Fahrradkurier, Verzögerung aufgrund eines fehlendes Papiers von meiner Wenigkeit, dunkle Nacht, Lagerfeuer bei den wartenden Kraftfahrern, fast keine Verständigung möglich,
Rennen trotz Gefahr der Höhe, „Bestechung“ der Zollbeamten durch das Winken eines Geldscheines, Öffnung der Grenze, Empfang durch Priester aus La Paz, Dankbarkeit …
Der kommende Tag wurde für meine Kollegen zu einer schönen Erfahrung. Sie erlebten das segensreiche Wirken eines deutschen Priesters und die Berichte des dortigen Bischofs. Der Priester war eine Wucht. Er hatte einen Radiosender, kümmerte sich um Menschen und vor allem Kinder in Not und Bedrängnis. Gleichzeitig baute er in der wachsenden Stadt immer wieder eine neue Kirche. Es war interessant, eine Reihe von für das Land völlig untypischen Zwiebelkirchtürmen zu sehen. Ja, das war halt der „Dickschädel“ des deutschen Priesters. Wie sagte der Bischof, schon oft haben wir ihn gebeten, andere Turmspitzen zu bauen, aber es klappt nicht. Wenn wir ihn dafür rügen, sagt er lediglich, das habe ich vergessen, es soll nicht mehr passieren. Aber er vergisst ausgerechnet dieses Gespräch sofort wieder. Für mich war die Erfahrung eine andere. Ich bekam eine besondere Form der Höhenkrankheit und lag mehr oder weniger alleine in meinem Bett. Mir fehlte die Luft zum Atmen. Die mir ans Bett gestellte Sauerstoffflasche war leider unmittelbar nach dem Beginn der Behandlung und nach der Verabschiedung unserer Partner leer. Am nächsten Tag schleppte ich mich mit letzter Kraft und dank Gepäckträger bis zum Flughafen. Dort wurde mir wieder der Sauerstoff verweigert. Einen Gang zur Toilette am Flughafen wurde mir jedoch beinahe zum Verhängnis, weil mir die Luft für den Rückweg fast weg blieb. Meine Erkenntnis: Gott führt immer, er wollte mich nicht in einem Bolivischen Krankenhaus zurücklassen und schickte mir seinen Engel. Völlig unerwartet tauchte der Bischof am Flugplatz auf, um sich nochmals persönlich zu verabschieden. Als er meinen Zustand bemerkte bekam ich sofort einen Rollstuhl, durfte keinen Schritt mehr gehen und erhielt im Flugzeug sofort eine Sauerstoffmaske. Mein Zustand wurde innerhalb kurzer Zeit wieder gut.
Zurück in der Hauptstadt Lima, bat uns zum Abschluss der Reise ein bereits im Ruhestand lebender Bischof zu einem kleinen Ausflug ohne Zielangabe. Er packte uns in sein Auto und entführte uns in eine andere Welt. Bisher hatten wir nur die Armut kennen gelernt. Auch blieb keine Zeit für touristische Sehenswürdigkeiten. Der Bischof führte uns in den vornehmen Stadtteil von Lima und ans von Touristen bevölkerte Meeresufer. Gemeinsam aßen wir in einem noblen Strandrestaurant. Wir kamen uns wie in einem Film vor. Ich bin dem Bischof für diesen Ausflug zum Ende unserer Reise sehr dankbar. Mir wurde bewusst, was der allgemeine Tourist von Peru erlebt. Es gab ein zweites Gesicht. Der Bischof kümmert sich übrigens um Priester, die aus verschiedenen Gründen ihre Berufung aufgegeben haben. Er sucht das mitbrüderliche Gespräch und bietet seine Hilfe an.
Von nun an ging es wieder Richtung Heimat. Einer meiner Kollegen konnte sich nur noch per Gewalt aus einer Flughafentoilette retten. Die Verriegelung lies sich nicht mehr öffnen. Unter Eile
erreichten wir den gebuchten Rückflug. Die Kräfte waren verbraucht. Im Durchschnitt hatte ich täglich nicht mehr als vier Stunden geschlafen. Ein Kollege litt unter starken Magenschmerzen und
vermachte mir sein Flugzeugmenü. Ein weiterer musste in Frankfurt vor dem letzten Flug wegen einer stärkeren Darmverstimmung einen Tag Zwischenpause einlegen. Das Herz war jedoch voll von Eindrücken
und Dankbarkeit. Es drängte uns, das Erlebte weiterzugeben. Wir mussten unseren Freunden und den Spendern von den Menschen und der Situation in Peru und Bolivien erzählen. Mit neuen Augen versuchten
wir, eine Schule der Liebe zu sein! Einer Liebe, die Gott und den Menschen gleichermaßen gilt.
Ich wünsche, dass der doch etwas lange geratene Bericht über diese Projektreise allen Leserinnen und Lesern einen kleinen Einblick in die Arbeit unseres Hilfswerkes geschenkt hat. Die immer wieder
sehr spannenden Momente kamen mir durchaus risikoreich vor. Wenn man aber bedenkt, dass die Menschen dort immer in diesen Situationen leben, war unser Risiko doch recht minimal. Ich danke an dieser
Stelle unserem Projektleiter für Peru, der uns nicht sonderlich geschont hat und dadurch aber wirklichen Einblick in das Leben der Menschen geschenkt hat.
Die Zukunft in neuen Räumen
Rund zwanzig Jahre waren wir mit unserem Büro nun schon in gemieteten Räumen in München. Wir hatten Gott sei Dank eine gute Vermieterin, die unseren Auftrag sehr schätzte und dies auch mit einem günstigen Mietpreisangebot bewies. Trotzdem waren es Monat für Monat feste Kosten in nicht unerheblicher Größenordnung. Zusätzlich litten wir seit Jahren an Platznot. Der größte Teil unserer Materialien wurde in einer Garage – nicht gerade optimal – untergebracht. Immer stärker kam der Gedanke durch, ob es nicht eine andere Lösung gäbe.
Unser Blick ging von nun an verstärkt an Klöster im Umkreis von München, die mangels Berufungen übrige Räume zur Verfügung hätten. Die Angebote waren entweder unpassend oder zu teuer. Ich persönlich hoffte, dass uns der Himmel einen passenden Flügel eines Klosters, mit äußerst günstiger Miete, zugedacht hat. Oder, dass uns irgendwo ein kleines Klostergebäude oder auch ein unbewohntes Pfarrhaus langfristig zur Nutzung oder gar als Geschenk überlassen wird. Mein Wunsch sollte sich nicht erfüllen.
Rückblickend, genau zum richtigen Zeitpunkt, kam der Lichtblick. Meine Stellvertreterin, Karin Maria Fenbert, hatte über einen Verwandten Pater erfahren, dass die Oblaten-Missionare ihr Haus in München aufgeben und veräußern werden. Das Haus stand zum Verkauf. Nach der Adresse zu schließen, war es in einem nicht gerade günstigen Teil der Stadt München gelegen. In mir wuchsen die Zweifel. Trotz aller Fragezeichen vereinbarten wir einen Besuch in diesem Kloster.
Zimmer für Zimmer erkundeten wir das noch belebte Haus. Ich musste erkennen, dass die Räumlichkeiten durchaus passend wären. Schließlich kamen wir in die kleine Hauskapelle. Es war der für mich entscheidende Moment! Entgegen meiner bisherigen Einstellung und entgegen meines logischen Verstandes, empfand ich sofort das Gefühl einer wirklichen Heimat. Es fühlte sich an, als ob in diesem Haus unsere Zukunft liegen würde.
Noch war ich allerdings der Meinung, dass es für ein Hilfswerk unserer Art vollkommen unpassend sei, einen größeren Betrag für eine Immobilie auszugeben. Ich konnte mir nicht vorstellen, den Freunden und Wohltätern in einem Brief freudig zu berichten, dass wir mit ihren Spendenmitteln nun ein Haus in Harlaching kaufen würden. Da nützte es auch nicht, dass das Haus ein ehemaliges Kloster sei und mit unserem Kauf die Hauskapelle gerettet wird. Auch war es in meinen Augen ein schwaches Argument, unseren Freunden von einem äußerst günstigen Kaufpreis zu berichten. Klar, wir würden uns die Mietkosten sparen, aber verschlingt so ein Haus nicht auch eine Menge an Unterhaltskosten? In mir schlugen zwei Herzen. Der Verstand sagte nein und das Gefühl sagte ja.
Nun sollte alles Schlag auf Schlag gehen. Hochrechnungen wurden erstellt. Kosten für den nötigen Umbau veranschlagt. Verhandlungen mit den Oblaten-Missionaren geführt. Finanzierungsvarianten wurden besprochen. Der Vorstand tagte und beriet. Die Zentrale in Königstein wollte genaue und belastbare Zahlen sehen. Und. Und. Und.
Der Mensch denkt und Gott lenkt. Von nun an sollte sich zu der ersten Fügung, dass wir überhaupt von den Verkaufsplänen der Patres erfahren haben, Fügung an Fügung reihen. Die Verkaufsverhandlungen fanden – wir merkten es erst einige Tage später – am Namenstag unseres Gründers statt. Der Ordensobere wollte das Haus unbedingt auch zukünftig in der Hand einer kirchlichen Organisation wissen, da ihm dies bei früheren Veräußerungen nicht gelang. Laut einem vorhandenen Gutachten und den sorgsamen Prüfungen eines befreundeten Bauingenieurs befand sich das Haus in einem guten Zustand. Sowohl unsere zukünftige Heimatpfarrei, als auch das Kloster, hatten die unbefleckt empfangene Jungfrau Maria als Patronin. Auch in unserem alten Büro verehrten wir dieses Muttergottesbild. Später werde ich auf diesen Umstand noch näher eingehen.
Was die Finanzierung betrifft, sollte meine so ungeliebte Stiftung noch eine wichtige Rolle spielen. Genau im Moment der Planungen, bekamen wir einen sehr großen Betrag in die Stiftung. Da wir eine Zustiftung ja anlegen müssen und nicht für unsere Projekte aufbrauchen dürfen, sprach ich mit dem Stifter und stellte kleinlaut die Frage, ob es auch für eine eigengenützte Immobilie verwendet werden darf. Dies wurde mit einem herzlichen Ja beantwortet. Ein erster Stein viel mir vom Herzen. Als der Kauf in seinen Grundzügen feststand, informierte ich den Stifter über das geplante Projekt. Welche Überraschung! Der Stifter hatte eine tiefe innere Beziehung zu diesem Kloster und stimmte, wohl selbst überrascht über die Fügung, von Herzen ein. Ein fehlender Restbetrag sollte noch über eine Zwischenfinanzierung bereitgestellt werden. Aber Gott macht keine halben Sachen: Am, im Vertrag festgemachten Zahltag, befand sich auf dem Konto der Stiftung genau der Betrag, der laut Kaufvertrag bezahlt werden musste. Es blieben sogar noch ein paar wenige Euro übrig. Selbst für die laufenden Kosten gab es eine Lösung. Im Klostergebäude befand sich eine zu vermietende Wohnung. Deren Mieterlös sollte einen großen Teil der Nebenkosten tragen. Nun war auch ich überzeugt. Es war wohl wirklich Gottes Wille. Alles wurde gefügt. Für unseren Kauf wurden keine Spendengelder benötigt. Im Gegenzug sanken die Zinsen so tief, dass angelegtes Geld fast keinen Ertrag mehr brachte. Mit ganzem Herzen konnte ich Gott für seine Güte danken und meinen Freunden und Wohltätern von unserem neuen Haus berichten.
Platz für die Familie
Um die Fügung Gottes zu dokumentieren, möchte ich auch eine private Begebenheit ansprechen. Wir bewohnten zusammen mit meiner Mutter zwar kein ausgesprochen kleines Haus, trotzdem war es so, dass unsere fünf Kinder in zwei Zimmern mit je ca. 11 Quadratmetern Wohnfläche schliefen. Mit jedem Jahr wurden die Kinder größer und es stellte sich die Frage, wie wir die Situation lösen können. Großes Geld war allerdings nicht vorhanden. Im Hinterkopf schwebte der Gedanke, dem Besitzer eines zu dieser Zeit unbewohnten alten Nachbarhauses ein Kaufangebot zu machen oder an unser bestehendes Haus anzubauen. Es war im Frühjahr 2007. Wir entschlossen uns, eine Novene zu Ehren der heiligen Therese von Lisieux zu beten. Am letzten Tag der Novene war entgegen aller Gewohnheit der Besitzer des Nachbarhauses anwesend und begrüßte mich schon am Morgen. Ich war mir sicher, dass dies mit unserer Novene zu tun hat. Allerdings erklärte er mir, dass sein Haus aus persönlichen Gründen und Planungen nicht zum Verkauf stehen würde. Im Gespräch mit meiner Frau kamen wir zum Entschluss, dass dies auf einen Anbau hinweise. Dieser Entschluss war durchaus gewagt: einerseits finanziell und auf der anderen Seite die Frage, ob es wirklich der Wille Gottes war. Wir wagten den Anbau und freuten uns darauf. Die heilige Therese hatte uns nicht vergessen und wollte uns auch in keiner Unsicherheit zurücklassen. Sie lieferte noch ihren heiligen Handschlag nach: Die Zeit für den Aushub der Erde drängte aufgrund der Jahreszeit sehr. Wir hatten auch schon eine feste Zusage durch die Baufirma. Aber es kam kein Bagger. Wir warteten und meldeten uns bei der Firma. Diese konnte den Zustand nicht erklären und erzählte uns irgendetwas, dass sie den Baggerfahrer auch nicht erreichen könnten usw. Voller Ungeduld blieb uns nur das Warten. Doch welch eine Freude. Am Morgen des 1. Oktobers kam besagter Baggerfahrer mit Maschine und der Start für den Hausbau war gegeben. Meine Frau blickte auf den Kalender und siehe, es war der Gedenktag unserer kleinen heiligen Therese. Jeder kann darüber denken wie er will, wir sahen darin die Begleitung Gottes zu unserem Plan und waren uns darin sicher. Tatsächlich war es der letzte Zeitpunkt für einen Hausanbau, bevor ich meine gesundheitlichen Probleme bekommen sollte. Ein Jahr später hätten wir uns dies nicht mehr zugetraut und wohl auch nicht mehr die Kraft dazu gehabt. Danke Jesus! Danke Therese!
Alles hat seine Zeit
Mit dem neuen Büro hatte sich mein Fahrweg noch etwas verlängert. Schon vor dem Umzug spürte ich, dass meine Kraft nicht mehr so ganz den Anforderungen entsprach. Ich hatte wohl auch einen kleinen Schwächeanfall, der allerdings keine organischen Ursachen zu haben schien. Immer mehr nahm ich meine Stellvertreterin, Frau Karin Maria Fenbert, in die Pflicht und informierte sie über alle Belange. Dass der Hinweis über das neue Büro von ihr kam, war für mich, ich weiß nicht warum, wie ein kleines Signal. Ich übergab ihr die kompletten Arbeiten für die nötigen Umbauarbeiten und für den Umzug. Mir fehlte die Kraft. Es wurde mir immer klarer, dass mit dem neuen Haus auch meine Zeit als Geschäftsführer des deutschen Zweiges zu Ende gehen wird. Im neuen Gebäude war alles auf die unbefleckt empfangene Gottesmutter bezogen, Frau Fenbert wurde an deren Festtag, dem 8. Dezember, getauft. Ihre Spiritualität war eng damit verbunden. In mir reifte die klare Entscheidung: Meine Zeit als Geschäftsführer geht zu Ende.
Es war keine einfache Entscheidung. Wie wird es meine Familie aufnehmen? Was wird mein Vorstand dazu sagen? Ich schlug diesem vor, in Zukunft in der Spenderbetreuung tätig zu sein. Wie wird die zukünftige Leitung über diese Sache denken?
Wieder durfte ich die Führung spüren. In einem von mir erbetenen Gespräch mit meiner Vorstandsvorsitzenden, Frau Antonia Willemsen, das wir im Augsburger Bahnhof führten, schöpfte ich Zuversicht für meine Zukunft. Ich durfte meinen leitenden Dienst abgeben und weiterhin im Hilfswerk arbeiten. Ein Stein fiel mir und wohl auch meiner Frau vom Herzen. Frau Willemsen, eine Verwandte von Pater Werenfried, war über Jahrzehnte als Generalsekretärin dem Gesamtwerk verbunden. Seit ihrem „Ruhestand“ war sie die Vorstandsvorsitzende des deutschen Zweiges. Es begann die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger für mich. In der Person meiner bisherigen Stellvertreterin, Frau Fenbert, wurde sie auch zeitnah gefunden. Mit großer Offenheit akzeptierte diese mein Verbleiben im Werk, mehr noch, sie bat mich sogar darum. Ich wollte mich in Zukunft verstärkt um die von mir bisher oft vernachlässigte Betreuung unserer Wohltäter annehmen. Eine Aufgabe auf die ich mich ehrlichen Herzens freute. Ich fühlte mich von einer großen Last befreit. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich meinen Dank an die Mitglieder des Vorstandes und an Frau Karin Maria Fenbert aussprechen.
Verrentet!
Am 14. März 2010 startete ich im Rahmen meines neuen Aufgabengebietes nach Dresden. Bereits während der Hinfahrt fühlte ich mich nicht wirklich gut. Ich war mir unklar, warum meine Kraft und mein Empfinden so belastet waren. In Dresden baute ich eine kleine Bilderausstellung in der dortigen katholischen Ligabank auf und eröffnete sie mit einem Radiointerview. Ebenso wird mir ein schönes Gespräch mit dem dortigen Filialdirektor in Erinnerung bleiben. Anschließend besuchte ich noch einige Klöster und Pfarreien. Da es für eine Heimfahrt zu spät war, besuchte ich meinen Bruder, der ungefähr auf der halben Strecke seine Pfarrei betreut. Nach der heiligen Messe saßen wir noch einige Zeit zusammen. Ein schöner Abend.
Als ich zu Bett gehen wollte erlitt ich eine starke Darmblutung. Die Pfarrhaushälterin meines Bruders, eine gelernte Krankenschwester, erkannte sofort die Situation und rief den Notarzt. Während der kurzen Zwischenzeit konnte ich noch bei meinem Bruder beichten – ein wirklich gutes Gefühl. Ich wurde ins Klinikum eingeliefert.
So nach und nach entdeckten die Ärzte die Ursache für meinen Zustand. Ich musste an einem bösartigen Tumor, der bereits zahlreiche Metastasen gebildet hatte, operiert werden. Leider konnte nur der Haupttumor entfernt werden. Da es sich um eine äußerst seltene, aber sehr langsam wachsende Krebsart handelt, geht die Uhr für mich dennoch weiter.
Die gesundheitliche Situation verlangte von mir die Beantragung meiner Rente. Mit 42 Jahren ist dies schon ein sonderbarer Schritt in die Zukunft. Zuerst wollte ich nur eine Teilverrentung, und hoffte, dass die nötige Kraft für eine teilweise Ausführung meiner Arbeiten genügen würde. Die Leitung von KIRCHE IN NOT ermöglichte mir alle Optionen. So hätte ich einen Großteil meiner Aufgabe von zu Hause aus erledigen dürfen. Am 5. Februar 2010 bekam ich die Antwort auf meinen Antrag. Ich wurde aufgrund meiner Diagnose zu 100 Prozent verrentet. Seit vielen Jahren begleitet mich täglich ein Kalenderspruch. Oft schon hat er mir Orientierung geschenkt oder einfach Mut gemacht. An dem Tag, als ich meinen Rentenbescheid bekam, begegnete mir dort der folgende Spruch von Papst Johannes XIII.: „Nehmen wir uns nicht zu viel vor. Es genügt die friedliche und ruhige Suche nach dem Guten.“ Dieses Wort wollte ich nun leben. Dass die Entscheidung für eine komplette Verrentung gut war, bestätigte sich ganz klar. Gott fügte auch hier meine Wege. Selbst finanziell war vorgesorgt. Da wir mit unserer großen Familie alleine von der gesetzlichen Erwerbsunfähigkeitsrente wohl nicht leben hätten können, war auch hier vorgesorgt. In meiner Zeit als Bankkaufmann hatte ich eine private Berufsunfähigkeitsrente abgeschlossen. Dazu kam noch eine weitere berufliche Absicherung. Gott plante vor.
Eine Kerze lang
Zu Beginn meiner Tätigkeit bei KIRCHE IN NOT bekam ich, wie schon erwähnt, in Rom die große Sendungskerze überreicht. Oft hat sie während der heiligen Messe oder einfach in wichtigen und
schwierigen Minuten vor dem Tabernakel gebrannt. Sie wurde für mich Begleiter, Zeuge und „Fürsprecher“. Als meine Zeit bei KIRCHE IN NOT zu Ende ging, betrachtete ich intensiv diese mir lieb
gewordene Kerze. Sie war in meinen Augen zwar weit, aber noch nicht ganz abgebrannt. Ich wunderte mich ein wenig, warum mein Dienst vor dem Abbrennen der Kerze enden sollte. So nahm ich die Kerze vom
Ständer und stellte fest, dass auf der Unterseite ein tiefes Loch vorhanden war. Mit einem Draht maß ich die Tiefe. Nun musste ich erkennen: Mein Auftrag bei KIRCHE IN NOT war abgelaufen. Der Doch
war wohl nur noch einen Zentimeter hoch. Mein beruflicher Dienst bei KIRCHE IN NOT dauerte „Eine Kerze lang – Neun Jahre meines Lebens“, neun schöne Jahre.
Fügungen
Mit meinem heutigen Blick auf mein bisheriges Leben darf ich, so ist es zumindest meine Überzeugung, zwei Linien erkennen. Eine Linie wurde immer wieder vom Bösen gemalt. Es ist eine Linie der Sünde. Obwohl sie immer gegenwärtig ist, möchte ich ihr nicht zu viel Gewicht geben. Die zweite Linie ist von Gott. Es ist der Beistand und die Führung meines Lebens durch Jesus Christus und die himmlischen Mächte. Eine ganze Reihe von Fügungen durchzieht mein Leben. Die meisten werde ich bisher noch nicht erkannt haben. Aber gerade in Bezug auf meine Tätigkeit bei KIRCHE IN NOT fügte sich eines zum anderen: Elternhaus, Geschwister, Schule, Ausbildung, Arbeitsplatz, Ehe, genau die richtige Begegnung zum passenden Moment am rechten Platz, menschliche Schutzengel usw. Ich denke, dass Gott mich, so wie übrigens einen jeden Menschen, für eine bestimmte Aufgabe wie ein Hilfsmittel verwendet hat. Darüber freue ich mich und darüber möchte ich Zeugnis geben. Gott ist mit uns! Er ist in unserem Leben gegenwärtig und wirkt! Wir sind nicht dem Zufall überlassen! Jesus Christus ist wirklich der Sohn Gottes! Gott ist die Liebe! Mit diesem Wissen wird alles andere unwichtig. Gott sehnt sich nach unserem JA.
Dankbarkeit
Was mit dem ersten Lehrlingsgehalt begonnen hatte, entwickelte sich zu einer dauernden Freundschaft. Trotz meiner Fehler hat Gott mein Leben bis heute wunderbar geführt, davon bin ich überzeugt. Mangelnde Fähigkeiten in den verschiedensten Disziplinen hat er geschickt überspielt. Andererseits darf ich Gott auch für eine Menge an Talenten dankbar sein.
Bis heute bin ich überzeugt, dass die bescheidenen Spenden unserer Familie bei KIRCHE IN NOT gut angelegt sind. Trotz aller Probleme, die es auch bei KIRCHE IN NOT gibt, bin ich sicher, dass der Geist Gottes in diesem Hilfswerk tätig ist. Vor wenigen Monaten hat meine älteste Tochter ihre Ausbildung begonnen. Auch sie hat ihr erstes Lehrlingsgehalt freiwillig diesem Liebeswerk geschenkt. Möge es ihr Segen und Freude bringen – ein Leben lang.
Zukunft
Gut möglich, dass in den Augen Gottes der gesamte Weg ein Ziel hatte: Eine Schule der Liebe. Das Ziel ist noch nicht erreicht. Meine Seele ist immer noch gespalten. Zwei Kräfte kämpfen in mir. Ich
vertraue, dass Gott stärker ist. Ich möchte die Liebe annehmen.
Was wird die Zukunft bringen? Wir wissen es nicht.
Worin besteht meine Aufgabe in der Krankheit? Es ist mit Sicherheit das Gebet und auch das Aufopfern der Situation. Manchmal denke ich, dass ich Gott in meiner jetzigen Situation viel mehr
Zuneigung und Gebet schenken könnte – wenn ich mich nicht zu sehr von allem möglichen Weltlichen ablenken lassen würde. In der Schule der Liebe habe ich noch nicht den guten Notendurchschnitt
erreicht.
Auch andere Aufgaben stehen vor mir. Zu Beginn meiner Erzählung berichtete ich von meinem kindlichen Angelusläuten in unserer Heimatkapelle. Die Stricke an den Glocken wurden vor Jahren durch die
Elektronik ersetzt. Es ist nun also nicht einmal mehr gesichert, dass eine Person beim Läuten des Angelus diesen auch betet. Obwohl noch von fast allen Kirchen drei Mal am Tag die Glocken zum
Angelusgebet aufrufen, verschwindet es fast lautlos aus unserem Alltag. Dies ist zumindest meine persönliche Überzeugung. Um diesem schwindenden Glaubenszeugnis ein klein wenig entgegenzuwirken kam
meiner Familie der Gedanke, eine sogenannte Angeluskarte breit im deutschsprachigem Raum kostenlos zu verbreiten. Der Gedanke dahinter ist, dass möglichst viele Menschen neben der Geldkarte auch eine
Angeluskarte, eine Gebetskarte mit sich tragen: Zur regelmäßigen Erinnerung an das Angelsgebet oder auch als kleinen Minialtar. Die Karte ist stabil und für eine lange „Laufzeit“ gedacht. Durch das
kostenlose Angebot sollte für alle die Möglichkeit bestehen, diese Karte im Familien- und Freundeskreis, aber auch in der Pfarrei und in verschiedenen Gebetsgruppen zu verteilen. Wir dürfen dieses
weltweite, christologische und marianische Bitt- und Dankgebet nicht untergehen lassen. Während unsere muslimischen Freunde mit ihrem treu und überall verrichteten Gebet Zeugnis geben, schämen wir
uns für unsere großartige Botschaft. Das darf nicht sein. Als Christen sind wir zum Zeugnis und zur Weitergabe unseres Glaubens verpflichtet – bis an die Grenzen der Erde. Es war mir eine große
Freude, als meine Nachfolgerin, Frau Karin Maria Fenbert, zu meiner Verabschiedung beschloss, allen Freunden von KIRCHE IN NOT diese Angeluskarte im Echo der Liebe beizulegen. Mehr noch, sie rief
dazu auf, weitere Exemplare zu bestellen und weiter zu schenken. Ebenso wurde die Aktion von Radio Horeb und der Fatima Aktion unterstützt. Sie sehen: Es gibt mit Gottes Hilfe noch viel zu
tun. Allein mit der Verbreitung der Angeluskarte, könnte ich alle freie Zeit füllen.
Darüber hinaus liegt mir noch etwas am Herzen. Es ist die Botschaft, der im Jahre 1985, im Rufe der Heiligkeit verstorbenen Schwester M. Franziska Senninger aus Niederviehbach. Sie durfte insbesondere nach dem Empfang der heiligen Kommunion, Jesus in besonderer Nähe erfahren. Ihre Tagebuchaufzeichnungen sind eine Schule der Liebe im Blick auf die heilige Eucharistie. Auch dafür würde sich jeder Aufwand lohnen.
Momentan schenkt mir meine Krankheit auch eine größere Nähe zu meiner Familie. Noch nie hatte ich so viel Zeit. Auch das ist ein Geschenk.
Gott kann alles. Gott kann mich gesund machen. Auch die Medizin kann Fortschritte machen. Wir wissen es nicht. Ich bitte Gott, dass er uns immer beisteht, dass wir nie verzagen und dass alle Wege zum Guten führen. Ich möchte ihm, so gut ich es kann, vertrauen.
Meine Eltern hatten einen Spruch für ihr Leben: Wir wollen auf Gott vertrauen und mutig in die Zukunft schauen.
Wunsch und Hoffnung
Mit einem Zitat von Pater Werenfried möchte ich dieses Büchlein schließen. Es ist meine persönliche Bitte und sicher auch die Bitte aller Leserinnen und Leser dieser Schrift:
„Gib, Mutter, wenn wir durch das dunkle Tor des Todes gegangen sind und vor dem Richterstuhl deines Sohnes stehen werden, dass wir dich dort finden mit einem Lächeln in deinen Augen und dass wir ruhig sagen dürfen: Grüß dich, Mutter.“
Anmerkung zum Titelbild:
Die Angeluskarte und dieses Büchlein haben dasselbe Bild der Heiligen Familie auf ihrer Vorderseite. Dazu noch eine Fügung: Als die Karte dringend in Druck gehen musste, fehlte noch das Titelbild. Es sollte dem Angelusgebet entsprechend einige Szenen oder eine Zusammenfassung der Heilsgeschichte von Jesus Christus darstellen. Der Wunsch von Frau Karin Maria Fenbert war zudem, dass die Karte in der Farbe der Gottesmutter Maria, also in blau, gestaltet wird. Der Grafiker der Karte, Herr Steffen Geiger, Mitarbeiter von KIRCHE IN NOT und ich waren seit einiger Zeit erfolglos auf der Suche. Als es wirklich eng wurde, durfte ich ein großes Paket vom Postboten in Empfang nehmen. Es war darin die Heilige Familie in blauem Ton:
Jesus Christus als Kind, geboren von der Jungfrau Maria. Aufgewachsen mit seinem Ziehvater, dem heiligen Josef. Die ausgestreckten Arme deuten seinen Tod am Kreuz an. Gleichzeitig entdecken wir in seiner Haltung bereits den von den Toten auferstandenen Christus.
Diese Figur schenkte mir der ehemalige internationale Geistliche Assistent von KIRCHE IN NOT, Pater Joaquín Alliende. Nun durften wir diese Heilige Familie nicht ohne Genehmigung auf eine Karte drucken. Ich suchte den Kontakt zu Herrn Gregor Lerchen, dessen Name ich in der Kurzbeschreibung fand. Hier zeigte sich das letzte Puzzleteil der Fügung: Herr Lerchen war ein Freund von KIRCHE IN NOT und gab uns mit Freude die Genehmigung zur kostenlosen Verwendung des Bildes. Ist das nicht wunderbar?!
Friede
ist
allweg
in
Gott
(nach dem heiligen Bruder Klaus v. d. Flüe)